Das renommierte Autorenfilmerduo Paolo und Vittorio Taviani begleitet in seinem Dokudrama über den Zeitraum eines halben Jahres hinweg Proben zu William Shakespeares Theaterstück
Julius Caesar. Als Schauspieler agieren ausschließlich Häftlinge aus dem Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Rebibbia am Stadtrand von Rom. In dem Stück geht es um die Einfädelung der politischen Intrige gegen den römischen Imperator, der an den Iden des März von den Verschwörern, darunter sein Adoptivsohn Brutus, erstochen wird. Die privaten Streitereien der Gefängnisinsassen verschmelzen auf packende Weise mit Shakespeares Sentenzen über das Für und Wider des Tyrannenmordes. Nach der umjubelten Aufführung des Stückes kehren die Strafgefangenen in ihre Zellen zurück.
Der halbdokumentarische Film wurde ausschließlich im Hochsicherheitstrakt von Rebibbia gedreht. Die Theateraufführung selbst ist in Farbe, während die Theaterproben auf kontrastreiches Schwarzweiß-Filmmaterial umkopiert wurden. Mit ihrem
bleiernen Licht und vielen
Nahaufnahmen erinnern diese Sequenzen an die neorealistische Ästhetik der Filme Roberto Rossellinis oder des frühen Pasolini. Der Film hat drei Ebenen: Shakespeares Stück, die Proben und schließlich die Ebene der Filmemacher selbst. In der Gefängnisinszenierung wurde dem Originaldrama auf Initiative der Häftlinge die Figur des Wahrsagers "Pazzariello" hinzugefügt. Die markanteste Änderung besteht indes in der Beibehaltung der meist süditalienischen Dialekte der Schauspieler, wodurch Shakespeares Zeilen eine neue Emotionalität, Wucht und Unmittelbarkeit verliehen wird.
Ebenso wie die bruchlose Durchdringung von Film, Realität und Theater in der Inszenierung bietet sich auch der Gegensatz zwischen der im Stück beschworenen Freiheit und dem Häftlingsdasein für eine Vertiefung im Kunst-, Ethik- und Deutschunterricht an. Wie entfaltet Shakespeares Sprache gerade durch die Verfremdungseffekte des Schauplatzes und der Dialekte ihre emotionale Wirkung? Daran anschließend können die Parallelen zu heutigen männerbündlerischen Organisationen diskutiert werden. Merkbar spiegeln die von den Häftlingen nach ihren Persönlichkeiten geformten Bühnencharaktere eigene Erfahrungen wider. Die meist lebenslänglich Verurteilten, Mitglieder von Camorra und Mafia, sind (oder waren) selbst "Männer von Ehre" wie Shakespeares Verschwörer. So agiert auch Imperator Caesar wie ein "Pate". Dank der ausdrucksstarken Laiendarsteller, die den Stoff instinktiv auf ihr eigenes Schicksal beziehen, wird den Schülern/innen anschaulich vermittelt, was Kunst sein kann: nicht nur Spannung und Unterhaltung, sondern ein Mittel zur Selbsterkenntnis. Insofern macht der Film auch Lust auf Theater.
Autor/in: Birgit Roschy, 27.12.2012
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