1991 erklärte sich die russische Kaukasusrepublik Tschetschenien unabhängig. Seit 1994 russische Truppen einmarschierten, herrscht dort mit einer Unterbrechung von 1996 bis 1999 ein blutiger Bürgerkrieg mit wahrscheinlich mindestens 100.000 Toten. Seit dem Einmarsch der russischen Besatzungsmacht dokumentiert die tschetschenische Bürgerrechtlerin Sainap Gaschaiewa, die von ihren Eltern auch "Coca" (Taube) gerufen wurde, die Gräueltaten der russischen Einsatzgruppen in ihrer Heimat. Unter Gefahr für Leib und Leben zeichnet sie Berichte von Opfern und Zeugen/innen über die Gewalttaten auf und schafft Hunderte von Kassetten aus der mittlerweile nach außen fast völlig abgeschotteten Republik nach Moskau und Westeuropa. Gaschaiewa hofft, dass irgendwann ein Tribunal eingerichtet wird, vor dem sich die Schuldigen verantworten müssen. Dort sollen die Videos als Beweismittel dienen. – Der Schweizer Dokumentarfilmer Eric Bergkraut zeigt in seinem betont parteiischen Film Coca das unermüdliche Engagement Gaschaiewas, die alle Terrorakte von tschetschenischen Kämpfenden ablehnt und im November 2005 in Köln den Lew Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte erhielt. In der zweiten Hälfte des Films erfährt man, wie sich Gaschaiewa und andere tschetschenische Menschenrechtler/innen in der Schweiz für ihre Sache einsetzen und etwa bei Walter Kälin, dem UN-Sonderbeauftragten für die Menschenrechte Vertriebener, Gehör finden. Bergkrauts pro-tschetschenischer Film kritisiert sehr deutlich die Ignoranz des Westens gegenüber dem "vergessenen" Krieg am Rande Europas, den eine russische Journalistin als späten Kolonialkrieg einstuft und den die russische Regierung als Kampf gegen den "internationalen Terrorismus" bezeichnet. In formaler Hinsicht bleibt Coca leider hinter dem inhaltlichen Anspruch zurück, denn zu sprunghaft wechseln Schauplätze und Jahreszahlen, zu ungeordnet wirkt die Zusammenstellung des vielfältigen Bildmaterials. In thematischer Hinsicht liefert Coca das thematische Gegenstück und eine erkenntnisreiche Ergänzung zum deutschen Dokumentarfilm Weiße Raben über verstörte junge russische Veteranen/innen des Tschetschenien-Kriegs.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.11.2005