Missouri, USA, im Jahr 1881: Als sich der junge Bob Ford der Bande von Jesse James anschließt, ist der gefürchtete Bank- und Postkutschenräuber bereits ein Volksheld – eine lebende Legende. Auch der sympathische, aber unreif wirkende Bob hat seit seiner Kindheit jeden Zeitungsartikel und Groschenroman über den Gesetzlosen verschlungen. Der Mann hinter dem Mythos ist indes ein von Selbstzweifeln geplagter, manisch-depressiver Gewalttäter, den seine Freunde mehr fürchten als seine Feinde. Bobs Verehrung tut dies keinen Abbruch. Sein späterer Entschluss, Jesse James zu töten, entspringt denn auch keinem Gerechtigkeitsgefühl, sondern der Einsicht, sein Idol nicht erreichen zu können. Im Auftrag der Staatsregierung erschießt er sein Vorbild hinterrücks in dessen eigenem Haus.
Der Titel des Films verrät das Ende – aus gutem Grund.
Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford ist kein Spannungs-, sondern ein melancholischer Stimmungsfilm in der Tradition des Spätwesterns, der jede Verherrlichung des brutalen Banditen vermeidet. Im Gegensatz zu den klassischen Westernfiguren eines John Wayne oder James Stewart gibt es keine Helden, und folglich auch keine Heldentaten. Mit hohem ästhetischen Anspruch verknüpft Regisseur Andrew Dominik bekannte historische Fakten, um sich dem wahren Charakter eines legendären Revolverhelden – und dem seines Mörders – anzunähern. Mit hervorragenden Schauspielleistungen und einer brillanten Kameraarbeit bietet die Buchverfilmung eine interessante Genrevariation des Westerns. Allerdings dürften lange lyrische Passagen und eine teilweise unklare Handlungsstruktur vor allem in der ersten Filmhälfte Jugendlichen den Einstieg erschweren. Wichtige Hintergründe des Mythos – etwa das eng mit seiner Vita als Bürgerkriegsrebell verknüpfte Robin-Hood-Image von Jesse James – erschließen sich Uninformierten nur spärlich. Erst mit fortschreitender Handlung entfalten sich die Charaktere – und mit ihnen auch das gesellschaftskritische Potenzial des Films: Die zweifelhaften Grundlagen der Heldenverehrung, ein fatales Zusammenspiel von Gewalt und öffentlicher Meinung, werden auf beeindruckende Weise dargelegt. Im Nachspiel offenbart sich schließlich der ganze Wahnwitz des modernen Medienphänomens Jesse James: Sein Haus wird zum Wallfahrtsort, Fotografien seiner Leiche werden tausendfach reproduziert und verkauft. Lobgesänge auf den verlorenen Helden sind zugleich Spottlieder auf den feigen Robert Ford, der statt Ruhm und Anerkennung nur Verachtung erntet – und schließlich selbst erschossen wird. Dieser Feigling ist Produkt und Opfer einer Gesellschaft, die ihre Helden braucht.
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Autor/in: Philipp Bühler, 24.10.2007