Die letzten zwölf Stunden im Leben des Jesus von Nazareth: Jesus wird von seinem Jünger Judas Ischariot verraten und von den Pharisäern, die seinen Tod fordern, der Gotteslästerung angeklagt. Weder der römische Statthalter Pontius Pilatus noch König Herodes wollen dieses Urteil aussprechen. Pilatus lässt das Volk entscheiden, es soll zwischen dem Schwerverbrecher Barnabas und Jesus wählen, nur einer von beiden kann begnadigt werden. Das Volk entscheidet sich gegen Jesus. Dieser wird von den römischen Soldaten gefoltert und auf dem Hügel von Golgatha ans Kreuz geschlagen, das er vorher noch selbst durch die Straßen von Jerusalem schleppen muss. – Das Positive vorweg: Die Entscheidung, den gesamten Film in Lateinisch und in Aramäisch, der Sprache von Jesus, zu drehen und ihn ausschließlich in untertitelten Fassungen im Kino zu präsentieren, ist überzeugend. Andererseits suggeriert der Film damit auch eine Authentizität, die er objektiv nicht hat und beispielsweise selbst noch untergräbt, wenn er in seiner Bildsprache offensichtliche Anleihen aus dem Horrorfilmgenre nimmt. Gewisse filmische Qualitäten sind unbestreitbar, etwa wenn Szenen in monochromes Licht getaucht sind, als würde es sich um einen alten eingefärbten Stummfilm handeln, oder Zeitlupen, Bildausschnitte und Sprachduktus der Figuren die Realzeit verdichten und verfremden. Abgesehen davon zeigt der Film alles, was es bisher reichlich in Splatterfilmen, aber noch nie so ausführlich und deutlich in einem Passionsfilm zu sehen gab: von der psychischen Demütigung bis zu den physischen Folterszenen, die einen großen Teil der Gesamtlänge einnehmen. Die detaillierte Darstellung von Gewalt kann manchmal notwendig sein, um etwas zu verdeutlichen und Zusammenhänge aufzuzeigen. Hier allerdings stoßen die Folterszenen in ihrer Detailversessenheit ab, wirken gar abstumpfend, dienen jedenfalls nicht dem Erkenntniszuwachs. Im Gegenteil, sie überdecken in ihrer konkreten Eindimensionalität den Sinn der christlichen Botschaft und machen das dargestellte Leiden von Jesus anfällig für Vergleiche mit anderen Filmen, in denen Menschen ebenfalls Unsägliches erduldeten, sei es in Kriegen, in Diktaturen oder gar im Holocaust. Um wenigstens bei der Darstellung der Pharisäer, die wie Jesus dem jüdischen Volk angehörten, dem Vorwurf des Antisemitismus zu entgehen, hat Gibson einen anderen Fehler gemacht: Folterungen und offene Gewalt werden ausschließlich von römischen Söldnern begangen und diese verhalten sich, ohne dass dies der Film auch nur ansatzweise begründet, sehr gehässig und sadistisch gegenüber Jesus. Was also bleibt, ist die Befriedigung der Schaulust und das Gefühl, wie im Mittelalter einer öffentlichen Hinrichtung beigewohnt zu haben, diesmal sogar ganz bequem im Kinosessel.
Autor/in: Holger Twele, 01.03.2004