Robert und Meg Windermere zählen in den 1930er-Jahren zu den besonders umschwärmten Paaren der High Society. Vor allem Meg genießt als "gute Frau" hohes Ansehen, da sie im Gedenken an ihre tot geglaubte Mutter sehr sittenstreng aufgewachsen ist und das Verhalten der Menschen mit rigorosen moralischen Maßstäben misst. Auch ihrem Mann würde sie einen Seitensprung unter keinen Umständen verzeihen. Ihr Vertrauen zu ihm wird allerdings an ihrem 21. Geburtstag gewaltig auf die Probe gestellt. Denn auf einmal taucht Mrs. Erlynne an der italienischen Riviera auf, eine Männer verführende Frau mit schlechtem Ruf, die auch Mr. Windermere zu umgarnen scheint. Prompt wird Meg zugetragen, diese Frau habe tatsächlich ein Verhältnis mit ihrem Mann. Nach und nach glaubt die naive Meg den Gerüchten und landet trotzköpfig in den Armen eines Playboys. Sie ahnt nicht, dass Robert sie in Wirklichkeit nur davor bewahren möchte, in ein dunkles Geheimnis von Mrs. Erlynne eingeweiht zu werden. – Mike Barker hat Oscar Wildes Theaterstück "Lady Windermeres Fächer" aus dem Jahr 1892 ins 20. Jahrhundert und zugleich von Frankreich nach Italien verlegt. Unabdingbar waren diese Eingriffe nicht. Im Gegenteil hätte die größere zeitliche Distanz vielleicht noch deutlicher gemacht, wie weit Oscar Wilde seiner Zeit mit seiner liberalen Einstellung zu Ehe, Sexualität und Mutterschaft voraus war. So zeigt sich am Ende, dass Mrs. Erlynne charakterlich keineswegs so schlecht ist wie ihr Ruf. Wilde, der seiner Homosexualität wegen selbst gesellschaftlich geächtet wurde, geht es auch um die Anerkennung anderer Lebensformen als der einer heterosexuellen Ehe, so wie Mrs. Erlynne als bewusst unverheiratet lebende Frau einen Gegenentwurf bildet. Die insgesamt sehenswerte Adaption des Theaterstücks behält den Charme und Witz der Vorlage bei und unterstreicht deren Esprit und Spitzzüngigkeit. Innerhalb eines brillanten Ensembles sticht Helen Hunt als emanzipierte Mrs. Erlynne mit sprödem Charme hervor.
Autor/in: Kirsten Liese, 01.12.2005