In der Hoffnung auf einen Karriereschub behauptet die 26-jährige Betriebswirtschaftsstudentin Hanna aus Berlin in einem Bewerbungsgespräch, dass sie bald ein Praktikum für die "Aktion Friedensdienste" in Israel antrete. Um die nötige Bescheinigung zu erhalten, muss Hanna nun tatsächlich in einem Behindertenheim in Tel Aviv arbeiten. Mit ihrer Arroganz eckt sie dort überall an: in der deutschen Wohngemeinschaft, bei der weisen Holocaust-Überlebenden Gertraud und bei der Behindertengruppe, die der Psychologe Itay leitet, der als Hannas Guide fungiert. Nach einigen zynischen Sprüchen beginnt er mit Hanna zu flirten, die seinem Charme erliegt, obwohl sie täglich mit ihrem Freund Alex in Berlin skypt.
Der Film beginnt und endet mit einer alternierenden
Montage von Bildern aus Berlin und Tel Aviv. Die tiefere Bedeutung der raschen Ortswechsel der
Anfangssequenz erschließt sich im Finale, in dem die
Parallelmontage die Städte als Sehnsuchtsorte und Zielpunkte gegenläufiger Reisebewegungen enthüllt. Bei der deutsch-israelischen Koproduktion, die sich fast 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg intensiv mit den psychologischen Folgen des Holocaust auf die dritte Generation befasst, überraschen die vielen sarkastischen Dialoge, die die Political Correctness missachten. So sagt Hanna einmal zur Rechtfertigung ihres karriereförderlichen Aufenthalts: "Was mit Juden kommt halt immer gut, und behinderte Juden zählen gleich doppelt!" Auch der ehemalige Armee-Psychologe Itay spart nicht mit zynischen Witzen über die Shoah.
In ihrem dritten langen Spielfilm skizziert die Regisseurin Julia von Heinz eine Chronik der Verunsicherung, die viele Ansatzpunkte liefert, um im Geschichts- und Ethikunterricht die Frage nach einem angemessenen Umgang mit dem Holocaust aufzuwerfen. Wie wird die Ignoranz der jungen Deutschen erschüttert, die glaubt, die Verbrechen des Nationalsozialismus gingen Spätgeborene wie sie nichts mehr an? Inwiefern verbinden die Familiengeschichten von Tätern und Opfern die Hauptfiguren? Scheinbar beiläufig schildert das Filmdrama zudem den Alltag in Tel Aviv. Wenn Hanna im Bus neben einer Soldatin sitzt, die mit dem Gewehr im Arm telefoniert, wird die permanente Bedrohung durch den Nahost-Konflikt spürbar. Im Fach Sozialkunde könnten die Schüler/innen diskutieren, inwieweit dieses Lebensgefühl den Sarkasmus verursacht, der etwa in Itays Aussagen zutage tritt. Im Fach Deutsch liegt ein Vergleich des Films mit Theresa Bäuerleins Roman
Das war der gute Teil des Tages nahe, der einige Motive für das Drehbuch lieferte. Warum wurden bestimmte Handlungselemente und Figuren übernommen, andere nicht? – solche Fragestellungen können das Verständnis für die speziellen dramaturgischen Erfordernisse der Medien Literatur und Film fördern.
Autor/in: Reinhard Kleber, 21.01.2014
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