Zum Abschluss seines fünfteiligen Ostpreußen-Zyklus, an dem der renommierte Dokumentarfilmer Volker Koepp seit den 1990er-Jahren arbeitet, hat er in der zwischen Polen und Litauen gelegenen russischen Exklave rund um den Ort Kaliningrad einen Film mit Kindern gedreht. Kaliningrad, das einstige Königsberg im nördlichen Ostpreußen, ist die Geburtsstadt des Dichters Johannes Bobrowski, dem Koepp 1972 ein filmisches Porträt widmete. Dessen Gedicht
Holunderblüte über das Vergessen nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch die schwärmerische Märchenerzählung
Mutter Holunder von Hans Christian Andersen, gaben dem Film seinen Titel und verweisen auf die den Film tragende Grundstimmung. Die Umgebung Kaliningrads ist geprägt von brachliegenden Feldern und entvölkerten Dörfern in einer einst ertragreichen Landschaft. Ein Großteil der Erwachsenen arbeitet anderswo und kommt selten nach Hause, die im Dorf Gebliebenen sind fast alle alkoholabhängig. So müssen die Kinder alleine zurechtkommen und für ihr Überleben in den strengen Wintern sorgen, sie haben andererseits alle Freiheiten und einen aufregenden Abenteuerspielplatz um sich herum.
Koepp lässt diese jungen Menschen für sich sprechen, ohne Fragen zu stellen oder kommentierend einzugreifen. Bereitwillig, offen und ohne Scheu erzählen sie von ihrem Leben, ihren Träumen oder auch von ihren Berufswünschen. Trotz ihres harten Alltags und schlechter Erfahrungen vor allem mit den Erwachsenen suchen sie mutig nach Alternativen in ihrem Leben und scheinen sich ihre unbändige Lebenslust bewahrt zu haben. Die Erzählungen der Kinder, die dem Lauf der Jahreszeiten folgen, sind mit wunderschönen Landschaftsbildern von Kameramann Thomas Plenert unterlegt, was dem Film eine poetische Dimension verleiht. An keiner Stelle besteht die Gefahr, in ein sozialdokumentarisches Drama abzudriften, der Film zielt nicht auf sentimentale Betroffenheit, sondern weckt Sympathie und Faszination für seine kleinen Helden. Dies wiederum macht neugierig, sich ausführlicher mit der wechselvollen Geschichte der Region und ihren Menschen zu beschäftigen, denen im heutigen modernen Europa nur ein Schattendasein vergönnt zu sein scheint.
Autor/in: Holger Twele, 22.01.2008
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