Der Streifenpolizist Steven Russell lebt mit Frau und Kind in Texas, als ihm nach einem schweren Autounfall bewusst wird, dass er homosexuell ist. Er verlässt seine Familie, stürzt sich ins Nachtleben der gay community und finanziert seinen aufwändigen Lebensstil mit dreisten Versicherungsbetrügereien. Während seines ersten Gefängnisaufenthalts lernt er seine große Liebe, den naiven Kleinkriminellen Phillip Morris, kennen. Auf freiem Fuß gibt sich Russell als Anwalt aus und erwirkt mit gefälschten Papieren dessen vorzeitige Entlassung. Danach erschwindelt er für sich und Morris ein Vermögen, narrt Polizei und Strafvollzugsbehörden ein ums andere Mal und täuscht gegen Ende sogar erfolgreich seinen eigenen Tod vor.
Glenn Ficarra und John Requa inszenieren diese auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte als abwechslungsreiche Hochstaplerkomödie und setzen die betrügerische Hauptfigur als Ich-Erzähler ein. Dadurch stellt sich automatisch die Frage, wie vertrauenswürdig die Erzählung ist. Die beiden Regisseure unterstreichen diese reizvolle Unsicherheit, indem sie Schlüsselszenen wie Russells Coming-Out durch rasante, an Fernseh-Sitcoms erinnernde
Schnittfolgen ins Farcenhafte übertreiben und klassische Momente der Wahrheit durch eine satirisch zugespitzte
Musikauswahl in ihr Gegenteil verkehren. Auf diese Weise schieben sie vorschnellen Diagnosen über die Identitätskrise des Helden einen Riegel vor. Andererseits bleibt einem Russell dadurch weitgehend fremd und die Zuschauenden sind geneigt, seine selbstzerstörerische Karriere einfach achselzuckend hinzunehmen. Überhaupt kommt die tragische Dimension innerhalb dieser tragikomischen Liebesgeschichte deutlich zu kurz.
I Love You Phillip Morris eignet sich sehr gut als einführendes Beispiel in die Tradition des "unzuverlässigen Erzählers" und damit für den Deutsch- und Englischunterricht. Zur Vertiefung bieten sich berühmte literarische Vorbilder und deren Verfilmungen an: Vladimir Nabokovs
Lolita (1955) oder
American Psycho (1991) von Bret Easton Ellis. Für den Sozial- und Gemeinschaftskundeunterricht ist hingegen eher die Frage interessant, ob die Russell-Figur nicht lediglich einen klischeehaften Lebensentwurf (die heile Familie) gegen einen anderen (der ausschweifende homosexuelle Lebensstil) eintauscht. Unter diesem Gesichtspunkt zeigt der Film die Unwirklichkeit derartiger "Idealbilder" und zudem den mitunter tragischen Selbstbetrug ihrer Anhänger.
Autor/in: Michael Kohler, 26.04.2010
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