Jochen Hick dokumentiert das Leben von vier homosexuellen Männern im Schwabenland. Er begleitet sie bei ihrem Alltag zwischen Kirche und Stammtisch und auf ihren Fluchtreisen in die große Welt, wo sie gesellschaftlich mehr akzeptiert werden und schwule Lebenswelten bereits etablierter Bestandteil der Kultur sind. Die schwäbische Provinz dagegen hält an geradezu mittelalterlichen Vorurteilen fest, nach denen Homosexualität vermeintlich sündhaft, pervers und pathologisch ist. Hartmut, Richard, Stefan und Uwe haben den Absprung in die Stadt nicht geschafft oder wollten nie weg. Erstaunlich, wie offen und bereitwillig sie Einblicke in ihr Leben gestatten. Der 57-jährige Hartmut ist HIV-positiv und kompensiert seine Einsamkeit mit sexuellen Abenteuern in Thailand. Uwe lebt mit seiner betagten Mutter im Schwarzwald und ergründet in Berlin seine Vorliebe für Militäranzüge. Stefan, ein junger Forstwirt, bekennt sich zu seiner sexuellen Identität, indem er eine Regenbogenfahne vor seinem Fenster hisst. Der 79-jährige Richard, der während der Nachkriegsjahre oft ins liberale Zürich gereist ist, führt nach wie vor ein diskretes Leben. – Ich kenn keinen – Allein unter Heteros zeigt vor allem das private Umfeld der Männer auf dem Land, wo sich Mütter schämen, wenn der Sohn kein nettes Mädel nach Hause bringt und erstaunlich viele Schwaben behaupten, noch nie im Leben die Bekanntschaft mit einem Schwulen gemacht zu haben. Offen bleiben Fragen, was Hicks Protagonisten in der gottgläubigen, kleinbürgerlichen Provinz hält, in der jeder Konventionsbruch registriert und geahndet wird und als Stammtischwitze getarnte Nazisprüche die Runde machen. Insofern ist Ich kenn keinen ein nicht anklagender, politischer Film, der auf bestürzende Weise bewusst macht, dass die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten noch längst nicht in ganz Deutschland Einzug gehalten hat. Mitunter ist die Dokumentation dank brillanter Situationskomik sogar erheiternd, bis einem auch das Lachen im Halse stecken bleibt.
Autor/in: Kirsten Liese, 01.03.2004