Im zweiten Teil der Matrix-Trilogie bedroht eine Armee von Robotern die tief unter der Erdoberfläche versteckte einzige Fluchtburg der wenigen Menschen, die sich aus der Herrschaft der Maschinen befreien konnten. Einzig und allein Neo, der "Auserwählte", seine Geliebte Trinity und Raumschiffcommander Morpheus können diese Stadt Zion vielleicht noch retten und den Jahrhunderte langen Krieg zwischen Mensch und Maschine endgültig beenden, wie es ein Orakel einst prophezeit hat. Im Angesicht des Todes und bar jeder Vernunft gehen sie zurück in die Matrix, um von dort aus die Übermacht der Maschinen zu brechen. Die gefahrvolle Reise ist voller Irrtümer und Hinterhalte und erschüttert die Vorstellungen der drei Helden über den wahren Sinn ihrer Existenz. – Die von der Filmwirtschaft wie von zahlreichen Fans mit großer Spannung erwartete Fortsetzung des Science-Fiction-Thrillers erfüllt auf der Ebene des reinen Action-Kinos alle gängigen Erwartungen. Ungeniert plündert sie mehr als der erste Teil andere Genrefilme und deren Effekte von Martial Arts-Kampfszenen über Autos verschrottende Terminator-Verfolgungsjagden bis zu Superman-Höhenflügen, integriert sie aber zu einem metaphysisch durchwobenen Gesamtkunstwerk. Der faszinierenden "Welt am Draht"-Idee und den Reflektionen über Eigenverantwortlichkeit, Vorsehung und Entscheidungsfreiheit des Menschen werden neue Akzente hinzugefügt, indem der Film die Stützpfeiler menschlicher Existenz "Glaube – Liebe – Hoffnung" auf ihren heutigen Gebrauchswert hin abklopft. Dabei begegnet Neo erstmals auch dem Schöpfer der Matrix; er trägt allerdings keinen langen weißen Bart! Vergleichsweise differenziert präsentieren die Gebrüder Wachowski den archaischen Kampf zwischen Gut und Böse, denn Mensch und Maschine brauchen sich offenbar gegenseitig, Abweichler vom System sind kein Softwarefehler, sondern notwendiger Bestandteil zum Funktionieren des Ganzen und sogar Mr. Smith, der mit dem Knopf im Ohr und personifizierter Widersacher von Neo, entdeckt plötzlich voller Entsetzen Spuren von Menschlichkeit bei sich. Besonders diskussionswert aber gerät die Fortsetzung, weil sie viel konkreter und weniger philosophisch als der erste Teil detaillierte Bezüge auf den Zeitgeist und das politische Klima in den Vereinigten Staaten nimmt, gar zum Schlüsselwerk des zutiefst amerikanischen Mythos vom Primat des Religiösen über die Politik und deren weltliche Organe werden könnte. In diesen Interpretationsansatz passt auch die aufs Klischee reduzierte Darstellung französischer Lebenskunst als längst überholtes "Programm" und die Begründung des Nutzwerts der französischen Sprache, weil Schimpfworte dort besonders gut klingen. Das alles weckt Neugier auf den Abschluss der Trilogie mit dem Titel "Revolution" und die mögliche Beantwortung der hier noch schuldig gebliebenen Frage, warum wir existieren.
Autor/in: Holger Twele, 01.05.2003