Lange haben Simin und ihr Mann Nader für ein Ausreisevisum aus dem Iran gekämpft. Nun wurde es bewilligt, doch Nader will das Land wegen seines an Alzheimer erkrankten Vaters nicht mehr verlassen. Simin ist aber fest zur Emigration entschlossen, sie möchte nicht, dass ihre gemeinsame Tochter Termeh im Iran aufwächst. Sie verlässt das gemeinsame Heim und will sich scheiden lassen. Nader stellt daraufhin die junge Razieh als Pflegerin für seinen Vater an, die nun jeden Morgen ohne Wissen ihres Mannes aus der Teheraner Vorstadt anreist. Anders als das Ehepaar lebt Razieh ein einfaches Leben, das stark von ihrer Religion geprägt ist. Als Razieh bei einem Unfall ihr ungeborenes Kind verliert, eskaliert die Situation.
Nader und Simin – Eine Trennung überzeugt dank einer unaufdringlichen Kamera und durch seine starke Nähe zu den Figuren. Wie schon in seinem Spielfilm
Alles über Elly (Kanojo ga kieta hamabe, Iran 2009) beweist Regisseur Farhadi erneut ein sicheres Gespür für komplexe Gruppendynamiken. Sein aktueller Film ist ein Ensemblefilm im besten Sinne. Seine Figuren sind stets Ausgangpunkt des Erzählens, meist werden sie in
Close-Ups oder
Halbtotalen eingefangen, was das reservierte Spiel der Darsteller/innen noch unterstreicht. Mit seinem realistischen Stil, der fast gänzlich ohne
Musik auskommt, zeichnet
Nader und Simin – Eine Trennung ein für westliche Augen ungewohntes Bild vom Leben einer modernen Teheraner Mittelklassefamilie.
Oberflächlich betrachtet erzählt
Nader und Simin – Eine Trennung ein Familiendrama, doch schon die Figurenkonstellation verdeutlicht, dass Farhadi in seinem Film eine zwischen Moderne und Tradition tief gespaltene Gesellschaft porträtiert. Der zentrale Konflikt – die Frage nach der Schuld am Tod des ungeborenen Kindes – berührt kritische Punkte des gesellschaftlichen Lebens: die Stellung der Frau, den Einfluss des Islam auf das sakuläre Leben und die repressive iranische Staatspolitik. Die traumatische Erfahrung der Tochter, die erleben muss, wie sich der Rechtsstreit ihrer Eltern zuspitzt, hebt den Konflikt auf eine persönliche Ebene. So ermöglicht der Film im Unterricht eine differenzierte Auseinandersetzung mit der iranischen Gegenwartsgesellschaft, wobei Farhadi zwischen einer juristischen und einer moralischen Schuld unterscheidet. Interessant wäre zudem die Analyse, wie es dem Regisseur gelungen ist, seine kritische Haltung gegenüber der Regierungspolitik an der Zensur vorbei in den Film einfließen zu lassen.
Autor/in: Andreas Busche, 12.07.2011
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