Mit der Stadt New York verknüpft der deutsche Filmemacher Rosa von Praunheim die schönsten Erinnerungen seines Lebens. In den wilden 1970er-Jahren genoss er die Freiheit der hiesigen Schwulenszene und schloss Bekanntschaften mit lebenslustigen, experimentierfreudigen Menschen aus aller Welt. Und heute? Die meisten Schwulenbars sind geschlossen, die Mieten für Künstler/innen und gesellschaftliche Außenseiter/innen unerschwinglich. Die Null-Toleranz-Politik der Bürgermeister Giuliani und Bloomberg hat die Stadt sicherer, teurer und langweiliger gemacht, glaubt von Praunheim. Doch nicht alle seiner Bekannten vermissen das lebendige, schmutzige und auch kriminelle New York jener Jahre. Einst berüchtigte Stadtteile wie das schwarze Harlem sind aufgeblüht, die Angst vor Überfällen ist drastisch gesunken.
In New York Memories tritt der Dokumentarfilmer, eine Ikone der deutschen Schwulenbewegung, hinter seinen Gegenstand zurück und lässt vor allem andere zu Wort kommen. So entsteht ein warmherziges und kontrastreiches Porträt der Stadt, die niemals schläft. Mithilfe von Interviewszenen, Archivmaterial und Kameraexkursionen durchs heutige Straßenbild werden Veränderungen nachgezeichnet. Protagonistinnen sind die deutschen Auswanderinnen Anna und Claudia, die von Praunheim bereits in seiner früheren
Dokumentation Überleben in New York (Deutschland 1989) porträtierte. Für die jüngere Generation sprechen die Schwestern Lucie und Marie Pohl sowie Isaac, der elfjährige Sohn seines damaligen Kameramanns, der stolz seine transsexuelle Identität behauptet.
Anhand des Films können Schüler/innen Entwicklungen und Krisen der Metropole – von der Aids-Epidemie der 1980er über die Gentrifizierungswelle der 1990er bis zum 11. September 2001 – herausarbeiten und mit ihrem Vorwissen abgleichen. Dabei sollte analysiert werden, wie der Filmemacher aus einer Vielzahl privater Lebensläufe und subjektiver Meinungen die Widersprüche sozialer Wirklichkeit einzufangen versucht. Wie gestaltet sich der Weg aus der Subkultur in die Bürgerlichkeit? Inwieweit speist sich die Faszination New Yorks auch aus den großen sozialen Unterschieden, der uramerikanischen Ideologie der Selbstverantwortung des eigenen Schicksals? Einige Archivbilder schwuler Freizügigkeit dürften einige Zuschauer/innen zunächst befremden; dank seiner insgesamt ruhigen Machart erlaubt der Film aber eine unverkrampfte Diskussion gesellschaftlicher Themen wie Homo- und Transsexualität. Für den ungebrochenen Wert sozialer und sexueller Toleranz ist New York noch immer das beste Beispiel.
Autor/in: Philipp Bühler, 09.07.2010
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