Was Niko in den letzten zwei Jahren getan habe, seitdem er sein Studium geschmissen hat, will sein Vater wissen. Er hat keine Lust mehr, seinem unentschlossenen Sohn, der immerhin schon Ende Zwanzig ist, länger alles zu finanzieren. Und tatsächlich ist Niko mit dieser Frage ein wenig überfordert. Denn was bedeutet es schon, dass er in dieser Zeit nachgedacht hat? Niko driftet weiter durch Berlin und gerät in eine kuriose Welt aus Bio-Coffee-Shops, zynischen Beamten/innen und Freunden, die aus
Taxi Driver (Martin Scorsese, USA 1976) zitieren. Außerdem begegnet er einer früheren Klassenkameradin, die er ganz anders in Erinnerung hatte.
In bestechend schönen Schwarzweißbildern führt Jan Ole Gerster hinein in eine Großstadtwelt, die wie ein irrwitziges Labyrinth wirkt. Die Geschichte eines orientierungslosen jungen Mannes könnte ein Drama sein, doch der Film macht daraus eine Komödie mit pointierten Dialogen. Am Anfang sind es die Nebenfiguren, die besonders skurril wirken. Doch je mehr sich Niko teilnahmslos von Episode zu Episode treiben lässt, je mehr die Gespräche seinen Charakter offenlegen und je deutlicher wird, dass im Grunde das Problem in ihm selbst liegt, desto ernsthafter wird der Film. Mit sehnsuchtsvoll klingenden Instrumenten wie Saxofon oder Klavier unterstreicht der
Jazz-Score die Stimmung von Niko, der im Verlauf eines Tages und einer Nacht mit seinem bisherigen Scheitern konfrontiert wird und schließlich in eine ungewisse Zukunft geht.
Indem
Oh Boy alltägliche Situationen komödiantisch überhöht oder zuspitzt, ermöglicht er Jugendlichen eine neue Sichtweise auf vertraute Verhaltensweisen und kulturelle Codes, die zur Auseinandersetzung anregt. Darüber hinaus lässt sich vor allem in Ethik oder Religion diskutieren, inwiefern die Figur des Niko stellvertretend für die Sehnsüchte und Ängste einer gegenwärtigen jungen Generation gelten kann und inwieweit die Vielfalt der Möglichkeiten und seine persönlichen Freiräume für ihn gerade zu einem Problem werden. In diesem Zusammenhang kann auch analysiert werden, wie die filmische Gestaltung Nikos Reise durch die Stadt durch die kontrastreichen Bilder kommentiert und welche Bedeutung dem Schauplatz Berlin dabei zukommt.
Autor/in: Stefan Stiletto, 05.10.2012
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