Weil es den Frauen zur Zeit der Talibanherrschaft in Afghanistan verboten ist, ohne männliche Begleitung das Haus zu verlassen, verkleidet eine allein stehende Mutter ihre 12-jährige Tochter als Jungen. Das verängstigte Mädchen soll als Osama bei einem Freund des verstorbenen Ehemannes arbeiten, um wenigstens auf diese Weise Geld zum Überleben der Familie zu verdienen. Als die Mullahs ihre wahre Identität entdecken, entkommt sie nur der öffentlichen Steinigung, weil ein alter Geistlicher sie zur Frau nimmt und sie nach der Hochzeit in seinem Haus einsperrt. – Osama von Siddiq Barmak gilt als der erste Spielfilm, der nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan gedreht wurde. In parabelhafter Form wirft er Schlaglichter auf die desolate und menschenunwürdige Lage der Frauen unter der Herrschaft der Taliban. Barmak hat einen emotional aufwühlenden Film gedreht, der angesichts der schreienden Ungerechtigkeit und der existenziellen Not der Frauen volle Aufmerksamkeit verdient, auch wenn er in seiner dramaturgischen Gestaltung sehr auf ein westliches Publikum abzielt. Gerade weil auch er die Frauen und insbesondere das Mädchen von wenigen Ausnahmen abgesehen als zimperliche, ängstliche und weinerliche Wesen zeigt, wirkt der Film jedoch ambivalent. Die Charakterisierung der Taliban als das Böse schlechthin gerät zum Mittel der Propaganda lediglich mit umgekehrten Vorzeichen, als es seinerzeit die selbst ernannten Glaubenskrieger der Taliban gemacht haben. Sie lenkt damit von der eigentlich notwendigen, differenzierteren Auseinandersetzung mit der Stellung der Frauen in vielen islamischen Gesellschaften ab. Insbesondere iranische Filmemacher (Panahi in Der Kreis , Makhmalbaf in Reise nach Kandahar ) haben dasselbe Thema der auch mit Blick auf Afghanistan jedenfalls schon kritischer und sensibler aufgegriffen.
Autor/in: Holger Twele, 01.01.2004