Schussangst gewann im September 2003 als erster deutscher Film in der 51-jährigen Geschichte des Filmfestivals von San Sebastian den Hauptpreis, die "Goldene Muschel". Der Low-Budget-Film des aus Georgien stammenden Regisseurs basiert auf dem gleichnamigen Roman von Dirk Kurbjuweit über das Leben des stillen Zivildienstleistenden Lukas. Der junge Mann versorgt in Halle an der Saale alte Menschen mit Essen, hat keine Freunde und bewegt sich in einer eigenen Welt. Seine einzige Leidenschaft ist das Rudern. Doch dann lernt er die rätselhafte Isabella kennen und verliebt sich in sie. Einerseits gibt sie sich hilfsbedürftig, doch dann scheint die durchaus selbstbewusste junge Frau mit ihm zu spielen. Als er entdeckt, dass Isabella eine sexuelle Beziehung zu ihrem Stiefvater unterhält, beschließt Lukas sie zu "befreien" und beschafft sich ein Gewehr. Als sie sich mehr und mehr von ihm distanziert, gerät seine Welt aus den Fugen. – Der Film beginnt viel versprechend als scharf beobachtete Chronik einer einsamen Großstadtexistenz mit Orientierungsproblemen. Er wird durch subtile Szenen mit verhaltenem schwarzen Humor aufgelockert, etwa die Begegnung von Lukas mit einem Rentner, der davon träumt, ausgerechnet nach Nordkorea auszuwandern, weil dort angeblich eine größere Solidarität unter den Menschen besteht als hierzulande. Leider entpuppt sich das eigenartige Beziehungsgefüge nach und nach als hochartifizielles Thriller-Konstrukt, das zwar den selbst gestellten Anspruch erfüllt, die Widersprüche des realen Lebens darzustellen, aber zu viele Fragen unbeantwortet lässt. Je mehr sich der unglücklich verliebte Protagonist in Gewaltfantasien verstrickt und von seiner Umwelt isoliert, um so unverdaulicher wird dieses irritierende Psychogramm einer wachsenden Verstörung, die schließlich fast zwangsläufig in eine Gewalttat mündet.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.04.2004