Nur noch eine Frage muss der 18-jährige Jamal richtig beantworten, dann hat er den Jackpot in der indischen Ausgabe der TV-Show "Wer wird Millionär?" geknackt. Dann ist der Waisenjunge aus den Slums von Mumbai ein Millionär. Doch der argwöhnische Quizmaster glaubt nicht, dass ein Straßenjunge über so viel Bildung verfügen kann und wittert Betrug. Bevor die Show am nächsten Tag weitergeht, lässt er ihn deshalb verhaften. In
Rückblenden erzählt Jamal den Polizisten von seinem Leben und entfaltet, stets in Zusammenhang mit den einzelnen Quizfragen, einen Bilderbogen von Liebe, Gewalt und dem unbedingten Willen zu überleben.
Regisseur Danny Boyle (
The Beach, USA 1999) entwirft mit
Slumdog Millionär sowohl ein Sozialdrama wie auch ein exotisches Märchen, das trotz seines vorhersehbaren Inhalts bis zuletzt spannend bleibt. Der Film besticht vor allem durch seinen filmsprachlichen Einfallsreichtum. Die zumeist mit der Handkamera gefilmten Bilder von Mumbai geben den Zuschauer/innen das Gefühl, mittendrin zu sein. Diese Eindrücke werden mit gekonnter Kameraführung und Schnitttechnik häufig in Manier von Videoclips
montiert. Unterstützt wird dies durch einen mitreißenden Soundtrack, bei dem sich traditionelle indische
Filmmusik mit modernen elektronischen Klängen vermengt. Das Ergebnis ist großes Kino, in dem ein westlicher Regisseur auf originelle Weise Bollywood-Dramaturgie mit den Elementen des britischen Sozialdramas verbindet. Diese Virtuosität überdeckt aber auch kritische Aspekte des Films.
Im Gegensatz zum realistischen Erzählkino Indiens wie dem von Satyajit Ray (
Apus Weg ins Leben, Indien 1955) oder Mira Nair (
The Namesake, USA, Indien 2006), kehrt der märchenhafte Charakter von
Slumdog Millionär nämlich – trotz expliziter Darstellungen des Slumlebens – die Probleme einer Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne letztlich zur Seite und beruhigt mit seiner ansprechenden Ästhetik das westliche Publikum. Hätte Boyle die unterschiedlichen Erzählformen stärker voneinander abgesetzt, wäre besonders das Finale mit seiner eindeutigen Reminiszenz ans Bollywood-Kino auch mehr als nur dekorativer Nachspann geworden. Vielmehr hätte es dann in seiner Kontrastierung zum realistischen Teil des Films stärker zum Nachdenken über das wirkliche Indien angeregt.
Trotzdem empfiehlt sich der Film für Schüler/innen aus cineastischen und inhaltlichen Gründen. Neben der Herausarbeitung urbaner und ruraler Unterschiede und dem Blick auf das wirtschaftlich aufstrebende Schwellenland Indien, stellt
Slumdog Millionär universelle Fragen zum (Über-)Leben, zu Freundschaft und Liebe. Zudem regt der Film dazu an, über die international erfolgreiche TV-Show "Wer wird Millionär?" zu diskutieren und deren mediale sowie gesellschaftliche Wirkungsweise zu analysieren.
Autor/in: Dr. Martin Ganguly, 12.02.2009
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