Früher einmal liebte Suzu das Singen, vor allem zusammen mit ihrer Mutter. Doch seit deren Unfalltod hat das junge Mädchen die Freude daran verloren und bringt nur noch ein Krächzen hervor. Als sie eine Einladung in die digitale Parallelwelt U erhält, birgt dies für sie neue Chancen. In Gestalt eines Avatars, der angeblich ihr wahres Ich zum Ausdruck bringen kann, verwandelt sich die im Alltag so schüchterne 17-Jährige in die selbstbewusste Sängerin Belle, deren virtuelle Konzerte in Windeseile zur Sensation werden. Auch ein drachenähnlicher Avatar wird auf Suzu aufmerksam und sorgt bei einem ihrer Konzerte für Aufruhr. Doch während dieser von den meisten als Bedrohung wahrgenommen wird, beginnt sich Suzu für ihn zu interessieren. Gemeinsam mit ihrer Freundin will sie herausfinden, wer hinter dem monströsen Äußeren steckt.
Mit U knüpft Mamoru Hosoda direkt an die virtuelle Parallelwelt OZ an, die er bereits für seinen 2009 veröffentlichten
Anime Summer Wars entworfen hat, und treibt diese weiter auf die Spitze. Während U visuell an ein Computerspiel erinnert, erfüllt die digitale Welt zugleich die Funktion eines sozialen Netzwerks. Trotz der ästhetischen Übertreibung wirkt dieser künstliche Raum daher durchaus vertraut und führt auf ansprechende Weise sowohl Möglichkeiten als auch Abgründe sozialer Medien vor. Den bildgewaltigen
Szenen in U stellt
Belle Suzus Alltagswelt im ländlichen Japan entgegen. So verbindet Hosoda wie oft in seinen Werken
Genres, aber auch unterschiedliche ästhetische Stile, ohne dass dadurch Brüche entstehen würden.
Science-Fiction-Elemente, Slice-of-Life-Beobachtungen und in einer Nebenhandlung sogar ein Drama um häusliche Gewalt gehen Hand in Hand. Auch Motive des französischen Volksmärchens "Die Schöne und das Biest" fließen maßgeblich in die Handlung des Films ein, wobei Hosoda sich mit einer opulenten Tanzszene auch vor der gleichnamigen Disney-Interpretation dieses Märchens aus dem Jahr 1991 verneigt.
Das "wahre Ich", generiert durch eine künstliche Intelligenz: Mit dieser Utopie wagt
Belle sich in den Bereich des
Fantastischen. Dennoch lädt der Film dazu ein, sich beispielsweise in Fächern wie Ethik, Religion oder Deutsch mit unterschiedlichen Rollen und Selbstrepräsentationen im wirklichen Leben und in sozialen Netzwerken auseinanderzusetzen. Welche Eigenschaften werden in welchen Kontexten zum Ausdruck gebracht? Was wird verborgen? Welche Chancen eröffnet die Anonymität des digitalen Raums? In
Belle überwiegen die positiven Aspekte, weil Suzu durch ihren Avatar auch im echten Leben an Selbstbewusstsein gewinnt. Diese Entwicklung der Figur bietet auch gute Ansatzpunkte zum Vergleich mit der Märchenvorlage, gelingt ihr diese Veränderung im Film doch allein aus eigener Kraft. Ebenfalls lässt sich diskutieren, wie der Film mit dem Thema häusliche Gewalt umgeht. Vielfältige Anknüpfungspunkte bietet
Belle für den Kunstunterricht. Hier kann der Look von U analysiert werden, aber auch die besondere Ästhetik von Animes, die hier zudem durch die Zusammenarbeit mit europäischen und US-amerikanischen Filmemachern/-innen - etwa den Machern von
Wolfwalkers oder dem Charakterdesigner Jin Kim, der unter anderem auch für
Rapunzel – Neu verföhnt oder
Vaiana tätig war, – variiert wurde. Nicht zuletzt können die Schülerinnen und Schüler für sich einen eigenen Avatar zeichnen oder mithilfe eines Programms (siehe Linkliste) entwickeln und diesen vorstellen.
Autor/in: Stefan Stiletto, 08.06.2022
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