Polen, USA, Frankreich, Tschechische Republik, Belgien 2023 Drama
Kinostart: 01.02.2024 Verleih:Piffl Medien Regie: Agnieszka Holland Drehbuch: Maciej Pisuk, Gabriela Łazarkiewicz-Sieczko, Agnieszka Holland Darsteller/innen: Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Dalia Naous, Tomasz Włosok u.a. Kamera: Tomasz Naumiuk Laufzeit: 152 min, dt. Fassung, OmU Format: DCP, 1:1,85 Filmpreise: Internationale Filmfestspiele Venedig 2023: Spezialpreis der Jury Altersempfehlung: ab 16 J. Klassenstufen:ab 11. Klasse Themen:Migration, Zivilcourage, Rassismus, Grenze, Flucht Unterrichtsfächer:Politik, Sozialkunde/Gemeinschaftskunde, Ethik, Deutsch, Kunst
Hinweis für Lehrer/-innen: Der Film Green Border erzählt von der Situation Geflüchteter an der polnisch-belarussischen Grenze. Er enthält mehrere drastische Gewaltdarstellungen und bietet kaum entlastende Momente. kinofenster.de empfiehlt den Film (FSK 12) daher für den Unterricht ab der 11. Klasse. Allerdings liegt es in Ihrem Ermessen, ob der Film für Ihre jeweilige Lerngruppe geeignet ist. Grundsätzlich empfiehlt es sich, den Film vor dem Einsatz im Unterricht anzuschauen und dann zu entscheiden.
Ein sumpfiger Wald, dicht und unüberschaubar, bildet die Grenze zwischen Belarus und Polen. Durch das Unterholz hastet eine syrische Familie auf der Flucht, unvorbereitet auf die Wildnis, drangsaliert von den Grenzschützern und in ständiger Angst. Seit Herbst 2021 versuchen Menschen diese EU-Außengrenze in der Hoffnung auf Asyl zu passieren. Doch hier sind alle Regeln ausgesetzt. Das belarussische Regime Lukaschenkos lockt mit Touristenvisas und einfachem Grenzübertritt mit dem Ziel, die EU zu destabilisieren. Polens nationalkonservative PiS-Regierung fährt einen harten Kurs mit illegalen Pushbacks und aggressivem Vorgehen gegen Flüchtende, Aktivisten, Journalisten und helfende Anwohner. Im Grenzstreifen werden Papiere vernichtet, Geflüchtete misshandelt, ausgebeutet und gezielt in Lebensgefahr gebracht. Menschen sterben und versinken im Sumpf. Grenzschützer und Polizistinnen sind am Limit oder verrohen. Inmitten empörender Ungerechtigkeit gibt es auch Gesten der Hoffnung: Humanität, Güte und Freude sind auch in dieser unmenschlichen Situation möglich. Selbst ein Grenzsoldat kann seine Menschlichkeit zurückgewinnen und durch Ungehorsam Leben retten.
Vor dem Hintergrund der Migrationskrise an der belarussisch-polnischen Grenze entfaltet Regisseurin Agnieszka Holland ein politisches Drama. Stehen zunächst die Flüchtenden im Mittelpunkt, wird die Perspektive anschließend auf die Familie eines Grenzsoldaten und eine Gruppe von Aktivist/-innen ausgeweitet. Das komplexe Drehbuch basiert auf Interviews mit allen Gruppen vor Ort, aber auch die Fluchtgeschichten des Casts beeinflussten die Erzählung und den Dreh. Die Bruchstücke der Realität fiktionalisierte das Filmteam zu einem multiperspektivischen Erzählgeflecht mit klaren Spannungsbögen und einem Timing, das auf emotionale Schlagkraft abzielt. Die stilisierten Schwarzweißbilder und das Sounddesign verstärken die bedrohliche Atmosphäre: Kaum auszuhalten ist etwa die Panik bei den Pushbacks und die Gewalt gegen Schwangere. Der Brutalität der Grenztruppen stehen nur selten entlastende Szenen von Humanität und Empathie gegenüber. Dabei weisen die archetypisch entwickelten Charaktere über individuelle Schicksale an dieser grünen Grenze hinaus. In Polen stieß Hollands Anklage inhumaner Entscheidungen der politischen Elite und der moralische Appell an individuellen Widerstand und Hilfsbereitschaft auf scharfe Reaktionen der damaligen PiS-Regierung.
Zur Migrationspolitik an den Grenzen der EU setzt Green Border ein deutliches, jederzeit parteiisches Statement. Fällt die Entscheidung, mit dem Film im Unterricht zu arbeiten, empfiehlt es sich, vorab die politischen Hintergründe der belarussisch-polnischen Grenzsituation und unter anderem den Begriff der "hybriden Kriegsführung" zu erläutern. Anschließend können die vom Film aufgeworfenen Fragen etwa im Politik- oder Philosophieunterricht diskutiert werden. Dabei bietet es sich an, zu analysieren, mit welchen filmästhetischen Mitteln Empathie erzeugt wird. Besonders strittig ist dabei die Funktion und Wirkungsweise der Gewaltdarstellung: Wie viel Schockeffekt ist angemessen, um das Publikum zu emotionalisieren? In einer anschließenden Diskussion können Themen wie Menschenrechte, Asyl und der Status von Kriegsgeflüchteten besprochen werden. Warum etwa blieb damals trotz der groben Verstöße gegen die Menschenrechte ein gesellschaftlicher Proteststurm auch in Deutschland weitestgehend aus? Und wieso wurde mit Geflüchteten aus der Ukraine ganz anders umgegangen? Welche Rolle nehmen die Medien dabei ein?
Arbeitsblatt zu Green Border
Fächer: Sozialkunde/Gemeinschaftskunde, Politik, Ethik, Deutsch ab 16 Jahren, ab 11. Klasse
Vor dem Filmbesuch:
a) Finden Sie sich zu zweit zusammen. Bereiten Sie den Film Green Border inhaltlich vor, indem Sie folgenden DLF-Beitrag lesen oder hören. Bearbeiten Sie anschließend die folgenden Unterpunkte.
1. Betrachten Sie die im Beitrag abgebildete Karte und verschaffen sich einen Überblick über die geografische Lage der Grenzregion zwischen Belarus und Polen. Für einen detaillierten Überblick können Sie auch andere Karten konsultieren.
2. Beschreiben Sie in eigenen Worten, in welcher Situation sich Geflüchtete an der Grenze zwischen Belarus und Polen im Jahr 2021 befanden.
3. Geben Sie wieder, welche Rolle die belarussische bzw. die polnische Regierung spielt.
4. Erläutern Sie in eigenen Worten den Begriff der hybriden Kriegsführung. Unter diesem Link finden Sie ebenfalls eine ausführliche Erläuterung des Begriffs.
5. Erläutern Sie, was man unter dem Begriff "Push Backs" versteht.
6. Beschreiben Sie die Momente der Menschlichkeit und humanitären Hilfe, von denen im Beitrag berichtet wird.
b) Kommen Sie im Plenum zusammen und klären gemeinsam offen gebliebene Fragen. Sichern Sie insbesondere das Verständnis bezüglich der humanitären und politischen Situation, die sich an der belarussisch-polnischen Grenze offenbart sowie die Begriffe der "hybriden Kriegsführung" und der "Push Backs".
c) Sie haben sich nun ein erstes Bild von der humanitären und politischen Situation in der Grenzregion zwischen Belarus und Polen gemacht. Welche Erwartungen haben Sie an einen Film, der sich dieser Region in der aktuellen politischen Situation widmet? Halten Sie individuell Ihre Erwartungen in Stichpunkten fest.
Während des Filmbesuchs:
d) Der Film ist multiperspektivisch angelegt. Das heißt, er erzählt die Geschichten unterschiedlicher Figurengruppen in der Grenzregion. Halten Sie in Stichpunkten fest, welche Gruppen dies sind.
Hinweis: Im Film werden eine Reihe von Gewalthandlungen explizit dargestellt. Sie dürfen die Filmvorführung jederzeit verlassen, wenn Sie sich den Darstellungen nicht aussetzen können und möchten.
Nach dem Filmbesuch:
e) Schreiben Sie für sich alle Gedanken, Assoziationen oder Fragen auf, die Ihnen im Anschluss an den Film durch den Kopf gehen. Wählen Sie anschließend einen Punkt aus, der Ihnen besonders wichtig erscheint und den Sie in das Klassengespräch mit einbringen möchten. Reflektieren Sie, inwiefern Ihre Erwartungen an den Film (nicht) erfüllt wurden.
f) Sammeln Sie Ihre Gedanken, Assoziationen und Fragen im Plenum und clustern Sie die Themen an der Tafel/am Smartboard. Tauschen Sie sich vertieft mit der gesamten Lerngruppe über ausgewählte Themen aus. Welche Emotionen hat der Film in Ihnen hervorgerufen?
g) Finden Sie sich in Kleingruppen zusammen. Schauen Sie sich noch einmal den Trailer des Films an. Analysieren Sie exemplarisch die prägenden filmästhetischen Mittel. Legen Sie dabei einen Fokus auf die Szenen im Wald. Arbeiten Sie anschließend in 2-3 Sätzen die Gesamtwirkung des Films heraus.
h) Kommen Sie im Plenum zusammen. Stellen Sie die von Ihnen in den Kleingruppen herausgearbeitete Gesamtwirkung vor. Seien Sie in der Lage, sie über die filmästhetischen Mittel zu begründen.
i) In Kritiken zu Green Border wird der Film immer wieder in Bezug zum Genre des Horrorfilms gesetzt (z.B.: „Man rezipiert dieses Werk trotz aller Perspektivwechsel zuvorderst als Horrorfilm.“). Lesen Sie sich die inhaltliche und ästhetische Genredefinition des Horrorfilms durch. Inwiefern stimmen Sie der Aussage des Kritikers zu? Begründen Sie Ihr Urteil.
j) Die Regisseurin des Films, Agnieszka Holland möchte mit dem Film bewusst schockieren, den "Schrecken eskalieren" (www.amnesty.de/filmrezension-green-border-polen-syrische-schutzsuchende). Lesen Sie sich den verlinkten Text durch. Diskutieren Sie abschließend folgende Frage im Plenum: Benötigt es die Schockmomente im Film, um Empathie für die Geflüchteten und damit auch eine mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen? Nehmen Sie kritisch auf aus Ihrer Perspektive problematische Aspekte des Films Bezug.
Autor/in: Karl-Leontin Beger (Filmbesprechung), Dr. Elisabeth Bracker da Ponte (Arbeitsblatt), 30.01.2024