Die Philosophin Hannah Arendt reist 1961 nach Jerusalem, um für die Zeitung The New Yorker über den Prozess gegen den NS-Verbrecher und SS-Obersturmbandführer Adolf Eichmann zu berichten. Ernüchtert erlebt sie im Gerichtssaal einen Angeklagten, dessen gefügiges, bürokratisches Auftreten sie nicht mit seinen abscheulichen Taten in Einklang bringen kann. Ihre Artikelserie, in der sie diesen Widerspruch thematisiert, schockiert die Welt. Zahlreiche Medien entfachen Hetzkampagnen gegen sie, Hannah erhält Drohbriefe, ihre akademische Karriere ist gefährdet. Doch die Studenten/innen verfolgen gebannt die scharfen Analysen einer selbstbewussten Frau, die kompromisslos für die Freiheit des Denkens eintritt.
Margarethe von Trotta konzentriert sich in ihrem Porträt auf den entscheidenden Lebensabschnitt, in dem Hannah Arendt ihre viel zitierte These von der "Banalität des Bösen“ formulierte. So konsequent, wie die Regisseurin die Ereignisse aus der Perspektive ihrer Heldin schildert, bekennt sie sich uneingeschränkt auch zu deren Positionen. Das profund recherchierte Drehbuch mit vielen originalen Zitaten und Filmaufnahmen aus der mehrstündigen Schwarzweiß-Dokumentation des Eichmann-Prozesses
Ein Spezialist von Eyal Sivan (Israel 1998) vermitteln den Eindruck historischer Authentizität. Durchkomponierte Bilder, häufig in
Brauntönen, und ein
Soundtrack mit sparsam eingesetzten elegischen Klängen prägen zudem eine Inszenierung von atmosphärischer Dichte. In
Rückblenden skizziert die Regisseurin die ambivalente Liebesgeschichte zwischen der jüdischen Studentin Arendt und ihrem Professor Martin Heidegger, der mit den Nationalsozialisten kollaborierte.
Von Trottas anspruchsvolle Hommage dürfte vor allem jüngere Generationen zur Auseinandersetzung mit den Thesen einer bemerkenswert unangepassten, intellektuell kompromisslosen Theoretikerin anregen, welche die historische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus mitprägten. Der Film ersetzt gleichwohl nicht die Lektüre von Arendts kontrovers diskutierten Schriften zum Totalitarismus, die zumindest auszugsweise bei der Analyse und Interpretation ihrer Kernthesen herangezogen werden sollten. Erörtert werden sollte auch, warum Hannah Arendt mit ihren Anschauungen so vehemente Proteste hervorrief. Arendts Plädoyer für eine gleichberechtigte Koexistenz von Juden und Arabern in Israel gibt zudem Denkanstöße zur politischen Brisanz und Aktualität ihrer Positionen. Sie können auch im Hinblick auf die aktuellen Spannungsverhältnisse im Nahen Osten reflektiert werden.
Autor/in: Kirsten Liese, 12.12.2012
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