Wer soziale Medien nutzt oder regelmäßig in die Kommentarspalten großer Nachrichten-Webseiten schaut, kennt das Phänomen: Zwischen vielfältigen Meinungsäußerungen finden sich oft auch diskriminierende, abwertende oder gar zu Gewalt aufrufende Postings. Der auf YouTube und Twitter aktive Journalist Rayk Anders ist selbst betroffen von "hate speech" (deutsch: Hassrede) und "trolling" (abgeleitet von einer Angeltechnik mit einem Köder). Hassrede meint dabei gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die in Deutschland auch strafrechtliche Folgen haben kann (etwa im Fall von Volksverhetzung); als "Trolle" bezeichnet man User/-innen, die Hass-Kommentare bewusst zur Provokation einsetzen und polarisierend auf Netz-Debatten einwirken. Anders will die Motivation hinter Hass-Kommentaren herausfinden. Zusammen mit einem Team um den Journalisten Patrick Stegemann beginnt er eine Investigativ-Recherche und stößt auf gut strukturierte Gruppen aus dem rechtsextremen Milieu.
Lösch dich! ist eine Web-Dokumentation, die Stegemann und Anders für funk, das Online-Angebot von ARD und ZDF für Jugendliche, gedreht haben. Im Wesentlichen ist der gut 40-minütige Film eine Art Making-Of ihrer Recherchearbeit: In einem verlassenen
Berliner Gewerbekomplex wertet das neunköpfige Team Hass-Kommentare mithilfe eines Algorithmus aus und sucht auf verschiedenen Plattformen Kontakt zu besonders aktiven "Trollen". Die
Inszenierung der Location und der Mitwirkenden ist dabei bewusst an das fiktionale
Genre des Polit- oder Verschwörungs-
Thrillers angelehnt. Rasant
geschnitten im Stil populärer Videoblogs – Anders spricht als Erzähler direkt in die Kamera – und mit gelegentlichen
Animationssequenzen soll
Lösch dich! besonders ein bildungsaffines jugendliches Publikum ansprechen. In Reportage- und Interview-Szenen setzt der Film jedoch auch auf klassische TV-Ästhetik wie
Talking Heads und eine informative, aber stets auch wertende Einordnung der Thematik.
Während ihrer Recherche stoßen Anders und Stegemann auf zwei Arten von "Trollen": zum einen auf einzelne User, die strafrechtlich relevante Beiträge – etwa Holocaust-Leugnung – als "schrägen Humor" verstanden wissen wollen; zum anderen auf Aktivisten und Aktivistinnen aus dem Umfeld von AfD und Identitärer Bewegung (IB), die "shit storms" als "normale Manöver im Info-Krieg" (Martin Sellner, IB) betrachten. Sie organisieren sich hierarchisch auf einem geheimen Server und nutzen Social Bots (automatisierte Accounts), um missliebige Kanäle und Nutzer/-innen gezielt zu attackieren. Die genannten Typen decken aber sicher nur einen Teil der Hassrede im Netz ab. Im Deutsch-, Sozialkunde- und Ethik-Unterricht können die Schüler/-innen zunächst eigene Definitionen von "Trollen" und Erfahrungen aus dem Netz-Alltag austauschen. Im Anschluss sollten (zum Beispiel in Gruppenarbeit) verschiedene Facetten der Thematik vertieft werden: Social Media als Raum des öffentlichen Dialogs, der Umgang von Facebook, Twitter und Co mit "hate speech" und Fake News (insbesondere seit dem Inkrafttreten des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes im Januar 2018) sowie die strafrechtliche Verfolgung von Hass-Kommentaren. Im Politik-Unterricht kann zudem der Effekt sozialer Medien auf Wahlkämpfe untersucht werden – etwa am Beispiel der US-Präsidentschaftswahl von 2016.
Autor/in: Jan-Philipp Kohlmann, 01.08.2018
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