Ihr Übergewicht, Enttäuschungen in der ersten Liebe, ein narzisstischer und berühmter Vater sowie eine vom Schlankheitswahn besessene Stiefmutter, die kaum älter ist als sie selbst, bewirken bei Lolita in der ohnehin schwierigen Phase der Pubertät großen Leidensdruck. In dieser gedrückten Stimmung erkennt sie nicht, dass ein junger Ausländer, den sie per Zufall kennen lernte, ihr ausnahmsweise einmal nicht Avancen macht, weil er sich Vorteile bei ihrem Vater ausrechnet. Dass dieser Junge es ernst mit ihr meint, dämmert Lolita erst, nachdem er sich bereits seinerseits menschlich enttäuscht von ihr wieder abgewandt hat. Etwas Halt und Unterstützung erfährt die junge Frau von ihrer Gesangslehrerin Sylvia. Diese spekuliert zwar anfänglich auch nur auf einen guten Draht zu Lolitas Vater, entdeckt allmählich aber nicht nur das besondere musikalische Potenzial, das in ihrer Schülerin steckt, sondern auch ihr liebenswürdiges Wesen. – Mit Witz, Scharfsicht und einem unverwechselbaren Charme erzählt Agnès Jaoui, wie eine junge, mit Komplexen belastete Frau allmählich zu neuem Selbstbewusstsein erwacht. Lolitas Geschichte ist allerdings nur ein Mosaikstein innerhalb einer exquisiten, prallen Gesellschaftssatire mit vielen Nebensträngen, Randfiguren und Charakterstudien. Virtuos schlägt Schau mich an einen großen Bogen von der Sehnsucht nach Anerkennung, Karriere und Erfolg im Kontext mit guten Beziehungen bis hin zu geschlechtsspezifischen Verhaltensmustern, Schlankheitswahn und Magersucht, rauen Umgangsformen und dem Phänomen, dass sich viele Menschen nicht wehren, wenn sie schlecht behandelt werden.
Autor/in: Kirsten Liese, 01.11.2004