"Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wieso ich in diese Welt hereingeboren wurde." Enjo aus der Schweiz ist der erste Junge, der in dem Zum Inhalt: Dokumentarfilm von Sigrid Klausmann zu Wort kommt. Seine Aussage steht programmatisch für die "großen Fragen", um die es gehen wird. Geschichten von 16 Kindern aus 15 Ländern hat die Regisseurin dafür zusammengetragen. Und es ist kein Dokumentarfilm geworden, der nur über Kinder erzählt. Klausmann schenkt ihren jungen Protagonistinnen und Protagonisten vielmehr Gehör, gibt ihnen Raum und eine Stimme, wenn sie ihr Lebensumfeld vorstellen, darüber nachdenken, in was für einer Welt sie leben, was ihnen Sorge bereitet und wohin ihr Weg sie führen wird.

Nicht ohne uns!, Szene (© Farbfilm Verleih)

Stimmen von denen, die oft ohne Stimme bleiben

Durch vier Kontinente führt der Film. Er stellt Kinder aus ländlichen Gebieten vor ebenso wie aus Städten. Sie wachsen in wohlhabenden und armen Verhältnissen auf und leben in unterschiedlichen Familienformen. Erzählerisch verbunden werden die einzelnen Episoden dabei durch den Tagesablauf. Grob folgt der Film den Kindern auf ihrem Weg zur Schule: vom Aufstehen und Frühstücken über die Verabschiedung von den Eltern oder Angehörigen und dann dem – teils ungewöhnlichen, mitunter auch gefährlichen – Weg, den sie oftmals gemeinsam mit Freunden/innen bestreiten, bis hin zur Ankunft in der Schule.

Aus den Alltagserfahrungen und dem konkreten Umfeld entwickeln sich dabei die Themen. Sanjana etwa, die in einem indischen Rotlichtviertel aufwächst, berichtet von dem Missbrauch und der Ausbeutung von Mädchen und Frauen, die sie täglich miterlebt, Luniko aus einer südafrikanischen Township von der allgegenwärtigen Kriminalität, die ihm Angst macht. Für Vincent aus Österreich wiederum, der mit seiner Familie in einem Gasthof hoch oben in den Bergen lebt, ist der Klimawandel ein am eigenen Leib spürbares Problem, ebenso wie für die Beduinin Ekhlas aus Jordanien, die darunter leidet, dass die Wasserstellen austrocknen. In anderen Episoden reicht das Themenspektrum von der Bedeutung von Bildung über Kriege bis hin zu den Gefahren der Atomkraft. So entfaltet sich nach und nach ein Kaleidoskop universell bedeutsamer Themen, zu denen sich die jungen Mitwirkenden teils erstaunlich reflektiert äußern. Vor allem aber wird deutlich, dass diese auch an Kindern nicht spurlos vorbeigehen und auch sie davon betroffen sind. Kommen in den meisten Dokumentationen überwiegend nur Erwachsene zu Wort, so wird hier bewusst die Perspektive zu den Kindern verschoben, deren Blick auf das Weltgeschehen jeweils sehr ernst genommen wird.

So umfassend die Themenvielfalt auch ist, so sehr wird sie bisweilen auch zum Problem. Die Vielzahl der Protagonisten/innen macht es unmöglich, einzelne Schicksale tiefgehender darzustellen. Folglich konzentriert sich "Nicht ohne uns!" auf Ausschnitte aus dem Leben der Jungen und Mädchen. Dass es über Kinder wie den HIV-infizierten Luniko sicher noch weitere Geschichten zu erzählen gäbe, muss dabei außen vor gelassen werden.

Ein Dokumentarfilm aus Kindersicht

Was die Inszenierung betrifft, bleibt "Nicht ohne uns!" weitgehend zurückhaltend. Im Mittelpunkt stehen die Kinder, denen die Kamera auf Augenhöhe begegnet. Weil die Aussagen der Kinder nie durch Erwachsene unterbrochen werden und die Filmschaffenden unsichtbar und unhörbar bleiben, erhalten diese mehr Gewicht. Nur wenn es um die Themenfelder Klimawandel und Krieg geht, verlässt der Film seine beobachtende Position und unterlegt die Sätze der Kinder mit einer Zum Inhalt: Musik, die das Gesagte emotional stark einfärbt.

Nicht ohne uns!, Szene (© Farbfilm Verleih)

Insgesamt setzt Sigrid Klausmann jedoch nicht auf Dramatisierungen. Versuchte der inhaltlich ähnlich gelagerte französische Dokumentarfilm Zum Filmarchiv: "Auf dem Weg zur Schule", durch offensichtlich nachgespielte Szenen Spannung zu erzeugen und geradezu abenteuerliche Schulwege zu zeigen, so vertraut "Nicht ohne uns!" seinen Bildern und den Geschichten der Protagonistinnen und Protagonisten. Interesse weckt der Film vor allem durch authentische Einblicke, die er in deren Alltag gewährt, und durch die präzisen Bilder, die er findet, um die Kinder in ihrem Umfeld zu verorten.

Anders und doch gleich

Dementsprechend geht es Klausmann auch weniger um die Exotik der Schauplätze (und damit um das Außergewöhnliche und Trennende) als vielmehr darum, ein Gefühl für die Gemeinsamkeiten der Kinder zu schaffen. Denn so unterschiedlich die Lebenswelten der Kinder auch sein mögen, so ähnlich ist das, was sie bewegt. Die Zum Inhalt: Montage überträgt dies, indem sie ähnliche Tagesläufe aneinanderreiht, oft auch durch "match cuts". Bei Letzteren werden Bewegungen bildlich aufgegriffen und so auch weit voneinander entfernte Schauplätze zueinander in Beziehung gesetzt. Dies trägt filmisch dazu bei, aus den unterschiedlichen Episoden eine einheitliche Geschichte zu machen.

Letztlich aber ist "Nicht ohne uns!" auch eine Mahnung an ein erwachsenes Publikum, den Blick für die Bedürfnisse, Träume und Wünsche von Kindern nicht aus den Augen zu verlieren – und die Welt mit den Augen derer zu betrachten, die von den Entscheidungen Erwachsener abhängig sind.

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