Das Interview führte Margret Köhler.
Wenn man das anarchische Chaos in Ihrem Film sieht, möchte man meinen, Emir Kusturica hat Sie beeinflusst.
Nicht so sehr wie Federico Fellini oder Luis Buñuel. Für mich ist Roberto Rosselini der Größte. Ich möchte Bilder machen, die sich in den Kopf brennen, eine visuelle Realität schaffen, die man nicht so schnell vergisst.
Wie würden Sie sich als Filmemacher definieren?
Es kommt immer auf meine Stimmung an. Ich tendiere zum fantastischen Realismus, ich will Mythen kreieren. Natürlich gibt es auch die kleinen dreckigen Filme, aber mich reizt eine bestimmte Form von Magie und Symbolen. Die sind universell, werden über Grenzen hinweg verstanden, in Ost und West.
Kamen Sie sich bei all den verrückten Figuren in Luna Papa nicht vor wie ein Zirkusdirektor?
Luna Papa ist eine Tragikomöde, dazu gehört das Burleske, manchmal auch etwas Slapstick. Darauf muss man sich konzentrieren, sonst verliert der Film sein Herz. Ich bin meinen Gefühlen gefolgt, habe ungewöhnliche Kamerawinkel benutzt, in schnellem Rhythmus gedreht; ich hoffe, man spürt die Energie. Der Film ist anthropologisch, nicht psychologisch. Wir Erwachsenen überlegen zu viel, sehen immer alles durch verschiedene Filter, die habe ich versucht zu entfernen. Kinder verstehen oft viel schneller, um was es geht, denken in einfachen Kategorien - Gut ist Gut, Böse ist Böse. Wir komplizieren alles, sind so sophisticated. Den kindlichen Blick wollte ich bewahren.
Es geht auch um Familienwerte und -zusammenhalt. Was bedeutet Familie für Sie?
Ein Netz, das uns auffängt, eine Gemeinschaft, in der wir Energie tanken können. Aber es gibt auch schlechte Energien, das darf man nicht vergessen. Die verzweifelte Suche in
Luna Papa nach dem Vater des ungeborenen Kindes deutet an, dass die Heldin die Ganzheit der Familie anstrebt. Auch wenn sich ihre Familie nach dem Tod der Mutter fast in Auflösung befindet. Ihr Vater wird mit der neuen Rolle nicht fertig. Diese Vorstellung, die Mutter ist für die Gefühle zuständig, der Vater für Autorität und Geist, funktioniert nicht mehr.
Übernatürliche Kräfte spielen eine große Rolle in Ihrem Film ...
Ich bin religiös ohne Reglion, glaube an übernatürliche Kräfte und daran, dass nach unserem Tod unsere Energie nicht verlorengeht. Aber ich habe auch nichts gegen traditionelle Religionen, sie ist für viele Menschen eine große Hilfe.
Was trieb Sie ausgerechnet in das Länderdreieck Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisien?
Ich liebe Zentralasien. Diese weiten und wilden Landschaften, das Licht, die Farben - das gibt es sonst nirgends. Dafür nehme ich alle Schwierigkeiten in Kauf. Die Dreharbeiten waren die Hölle. Zehn Monate dauerte der Stress, wir mussten zweimal wegen Naturkatastrophen unterbrechen. Nach einem Regen von biblischem Ausmaß saßen wir fest, fast wären wir mitsamt unserem Material in einer Flutwelle aus Wasser und Matsch davongeschwemmt worden.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wo fühlen Sie sich zuhause?
Ich bin in der Sowjetunion geboren und aufgewachsen, die gibt es nicht mehr. Ich wüsste nicht, wohin ich zurückkehren sollte. Je nach politischem Standpunkt komme ich für den einen aus Tadschikistan, für den anderen aus Russland. Aber niemand reißt sich um mich. Ich trage viele Kulturen in mir, habe in Duschambe, Taschkent und Moskau gelebt. Jetzt fühle ich mich in Berlin heimisch. Manche Stadtviertel erinnern mich an meine Kindheit. Nach Russland zieht es mich nicht mehr. Ich verabscheue den Zynismus der dortigen Politiker und der Geschäftemacher, den immer stärker werdenden Nationalismus.
Welche filmischen Pläne verfolgen Sie?
Luna Papa ist der erste Teil einer Trilogie, die in Farkor, einem künstlich errichteten, zentralasiatischen Dorf spielt. Im nächsten Film geht es wieder um übernatürliche Kräfte, um einen See, der verschwindet.