Einführung
Mystischer Horror
Der Jahrtausendwechsel als äußerer Markierungspunkt von Hoffnungen in krisengeschüttelter Zeit auf ein neues und vielleicht besseres Zeitalter, aber auch von Befürchtungen und Ängsten. Er spiegelt sich unmittelbar in der gegenwärtigen (deutschen und internationalen) Filmproduktion wider und beschert dem Horrorfilm und insbesondere seinem Subgenre Mystery eine neue Hochkonjunktur. Mystery-Filme vermitteln häufig klare Weltbilder, in denen es nicht auf individueller oder gesellschaftlicher Ebene, sondern ganz elementar und vor dem Hintergrund des Christentums um die Auseinandersetzung von Gut und Böse geht. Dabei wechselt das Gute eher noch seine Erscheinung und Wertigkeit, lediglich das Böse ist eindeutig symbolisiert durch das Dämonische, den Teufel möglicherweise. Es ist in den filmischen Realitäten ein nicht allein symbolisch geführter Kampf, der mit Vorliebe damit begründet wird, der Teufel wolle nach einer nunmehr 2000-jährigen Geschichte von Leid und Tod, in der das "Gute" versagt habe, endlich die Weltherrschaft übernehmen.
The Calling (Regie: Richard Caesar)
Suche nach Orientierung
So unterschiedlich solche Filme im Einzelnen auch sind, sie ermöglichen Rückschlüsse auf unsere Gesellschaft und unsere Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte, beispielsweise die nach einer überschaubaren und klar strukturierten Welt. Wie viele andere Filme haben auch sie – teils unbewusst ablaufende – Rückwirkungen auf unsere Wahrnehmung von Realität. Sie vermitteln uns bestimmte Ideologien und Werthaltungen, manchmal arg reduzierte Weltbilder mit sehr einfachen Lösungsansätzen für die komplizierten Probleme des Alltag und der Gesellschaft. Dabei bauen bzw. spekulieren sie auf das allgemeine Bedürfnis vieler Menschen, die nach dem wohl gewalttätigsten Jahrhundert der jüngeren Menschheitsgeschichte wieder Orientierung jenseits rein wissenschaftlich-rationaler Erklärungsmuster suchen. Diese sind von einer blinden Wissenschaftsgläubigkeit abgekommen und wenden sich entwicklungsgeschichtlich älteren Formen des Glaubens (z. B. aus dem Heidentum oder dem Mittelalter) zu oder erhoffen sich ganz einfach nur Ratschläge für ihr Leben aus Horoskopen und esoterischer Literatur. Besonders Jugendliche fühlen sich von solchen Sinnbildern und Praktiken bis hin zum Okkultismus und von den entsprechenden Filmen angezogen.
Lost Souls (Regie: Janusz Kaminski)
Kampf zwischen Gut und Böse
Mehr als ein Vierteljahrhundert nach seiner schockenden Erstaufführung ist der längst zum Filmklassiker gewordene Horrorfilm
Der Exorzist in einer restaurierten und vom Regisseur neu geschnittenen Fassung wieder im Kino zu sehen. In dem Blockbuster wird ein wohlerzogenes junges Mädchen plötzlich zum wilden Teufel. Da alle bekannten Krankheitsbilder ihrem Zustand nicht gerecht werden, versuchen zwei Geistliche eine Teufelsaustreibung und bezahlen ihre Bemühungen mit dem Leben. – Um Exorzismus geht es auch in dem neuen Film
Lost Souls - Verlorene Seelen, dem Regiedebüt des Spielberg-Kameramanns Janusz Kaminski. Hier kehrt der Teufel über den Körper eines Schriftstellers auf die Erde zurück, um die endgültige Weltherrschaft zu erlangen. Eine junge Prostituierte, die selbst schon exorziert wurde, versucht dies mit allen Mitteln zu verhindern und offenbar scheint auch hier der gute Zweck sämtliche Mittel zu rechtfertigen. – Vom ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und Satan handeln auch
Die Prophezeiung und
The Calling. In beiden Filmen spielen die Massenmedien eine besondere Rolle bei der Dämonisierung des Alltags. Der Teufel erscheint in Menschengestalt und versucht über familiäre Konstellationen Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. – Das Teuflische spielt schließlich auch in dem deutschen Gruselfilm
7 Days to Live eine besondere Rolle. Die Seelen von im Mittelalter getöteten Verbrechern spuken in einem verlassenen Haus und treiben ein Ehepaar in eine handfeste Beziehungskrise, in der sie nicht mehr zwischen Realität und Wahnvorstellungen unterscheiden können.
Gesellschaftsbezüge
Die hier vorgestellten Genrefilme sind zumindest teilweise zwiespältig in ihrer Interpretation von individueller und gesellschaftlicher Realität, beispielsweise durch ihre uneingeschränkte Legitimierung von Gewaltanwendung für das "Gute", ihre Vorliebe für konservative Rollenbilder und antidemokratische oder dogmatische Gesellschaftsentwürfe. Es ist noch immer furchtbar (im doppelten Wortsinn) einfach, das Böse in einem beliebigen Gegenüber zu lokalisieren und dann alle Mittel für legitim und gerecht zu halten, um es dann "auf Teufel komm’ raus" zu vernichten. Ausgehend von der Ästhetik des Grauens und den körperlichen Manifestationen des Teufels werden die filmischen Botschaften auf ihren gesellschaftlichen und psychologischen Hintergrund hin befragt und untersucht, welche verborgenen Ängste von uns sie ansprechen, beschwören und bannen.
Autor/in: Holger Twele, 01.01.2001