In einem Sumpf haust ein unansehnliches grünes Oger-Monster namens Shrek. Wie schon sein jiddischer Name signalisiert, erschreckt er gerne unliebsame Besucher, die ihn in seiner Einöde stören. Eines Tages begegnet er einem sprechenden Esel, der vor den Soldaten von Lord Farquaad flüchtet. Der eitle Tyrann lässt gerade alle Fabelwesen einfangen und möchte unbedingt die schöne Prinzessin Fiona heiraten, um König zu werden. Shrek und der Lord schließen einen Handel ab: Wenn es dem Oger gelingt, Fiona zu ihm zu bringen, wird Farquaad alle Fabelwesen aus dem Sumpf entfernen lassen, in dem sie Zuflucht gefunden haben. In einer abenteuerlichen Rettungsaktion gelingt es Shrek und dem Esel, Fiona aus ihrem Schloss zu befreien, das von einem feuerspeienden Drachen bewacht wird. Als Fiona erkennt, dass sich hinter der Ritterrüstung nicht der ersehnte Traumprinz verbirgt, sondern ein stinkender Sumpfbewohner, ist sie zunächst enttäuscht. Auf dem Rückweg zu Farquaads Burg stellen die beiden jedoch fest, dass sie vieles gemeinsam haben.
Shrek - Der tollkühne Held (USA 2001)
Neue Techniken
Mit Hilfe neu entwickelter Computerprogramme gelingt es den Regiedebütanten Andrew Adamson und Vicky Jenson, die Menschen-, Tier- und Fantasy-Figuren lebensecht wirken zu lassen. Das erste auf diese Weise computergenerierte Märchen stammt – wie das animierte Ameisenspektakel
Antz (1998) – aus dem Studio Dreamworks, das 1994 von Steven Spielberg, dem Ex-Disney-Manager Jeffrey Katzenberg und dem Musik-Unternehmer David Geffen gegründet wurde. Mit
Shrek legt es nun in Sachen computergestützter 3D-Animationsfilm sein Meisterstück vor, das für das Genre Maßstäbe setzt. Der Entwicklungssprung manifestiert sich auch darin, dass
Shrek als erster Animationsfilm seit Jahrzehnten im Wettbewerb des Festivals von Cannes lief.
Parodierte Märchen ...
Die Grundkonstruktion des flotten Familienspaßes, der auf einem Kinderbuch von William Steig beruht, erinnert an den Mythos von der Schönen und dem Biest. Die Filmemacher setzen sich aber bereits in der Eingangssequenz davon ab, wenn der respektlose 'Anti-Held' in seinem Toilettenhäuschen eine Seite aus einem Märchenbuch reißt. Mit viel Einfallsreichtum parodieren sie im Folgenden den Fundus klassischer Fabelwesen und Märchenfiguren. Produzent Katzenberg sagt dazu: "
Shrek betrachtet praktisch alle Märchen, mit denen wir aufgewachsen sind, und macht sich einen Riesenspaß daraus, die erzählerischen Konventionen zu verdrehen und auf den Kopf zu stellen."
... mit weitergehenden Bedeutungen
Katzenberg treibt es sogar noch weiter: Einige Szenen und Personen lassen sich ohne Weiteres als ironische Seitenhiebe auf seinen früheren Arbeitgeber Disney und dessen Chef Michael Eisner deuten. Das sterile Königreich Duloc des Ordnungsfanatikers Farquaad ist demnach eine Persiflage auf die künstlichen Amüsier-Welten des Magic Kingdom von Disney. Wenn Farquaad dort eine Hetzjagd auf unliebsame Bewohner veranstalten lässt, liegen aber auch Vergleiche mit so genannten ethnischen Säuberungen in unserer realen Welt nicht allzu fern.
Spaß am Wiedererkennen
Derartige filmindustrielle Feinheiten mögen nur wenige europäische Kinogänger entschlüsseln können. Dafür enthält
Shrek so viele Bedeutungsschichten und Witze, dass alle auf ihre Kosten kommen: Während sich die Kleinen über Slapstick-Nummern amüsieren, können die Großen versuchen, möglichst viele der gut 30 aufgegriffenen Schlüsselmärchen und Fantasy-Kreaturen zu erkennen. Cineasten und TV-Fans wiederum werden sich ein Vergnügen daraus machen, Anspielungen auf aktuelle Filme und Figuren wie
Matrix und
Lara Croft oder Verulkungen von TV-Shows zu dechiffrieren. Indem
Shrek für jede Zuschauergruppe humorvolle Einfälle oder ironische Brechungen bereit hält, greift er deutlich über die gängige süßliche Zeichentrickware hinaus. So etwa, wenn die beiden übermütigen Helden einen Frosch und eine Schlange zum Luftballon umfunktionieren. Die Schattenseite der erzählerischen Dekonstruktion dürfte aber gerade bei Kindern auch für enttäuschte Mienen sorgen, zerrupft der Film doch die heilen Welten geliebter Märchenheldinnen wie zum Beispiel Schneewittchen.
Der Schein trügt
Als Identifikationsfigur ist der ambivalente Shrek geschickt konzipiert: Mit seiner Vorliebe für Schlammbäder hat der rüpelige Außenseiter typische Underdog-Qualitäten; trotz seines "hässlichen" Äußeren mit den putzigen Trichterohren wirkt er aber auch niedlich. Außerdem verbirgt sich hinter der rauen Schale ein sonniges und liebenswertes Gemüt, das die intelligente Prinzessin denn auch bald zu enthüllen versteht. Aber auch bei Fiona trügt der Schein: Die grazile Schönheit wartet nicht passiv, bis sie gerettet wird, sondern verteidigt sich mit perfektem Kung Fu selbst gegen die Schergen Farquaads oder lässt einen aufdringlichen Robin Hood-Charmeur mit französischem Akzent souverän abblitzen. Den Fabel-Esel gar schließt man sofort ins Herz, auch wenn er nicht nur Shrek mit seinem ständigen Geplapper nervt.
Wertevermittlung
Trotz des hohen Spaßfaktors vermittelt das Oger-Märchen auf elegante Weise dem Publikum auch einige sympathische Botschaften, so etwa den Glauben an das Gute und die Liebe sowie die Notwendigkeit, sich mit den eigenen Schwächen zu akzeptieren – nicht zuletzt die Erkenntnis, dass innere Werte wichtiger sind als äußere Attraktivität. Während die Helden in der Originalversion von Stars wie Mike Myers, Cameron Diaz, Eddie Murphy und John Lithgow gesprochen werden, leihen ihnen in der deutschsprachigen Fassung prominente Darsteller wie Sascha Hehn, Esther Schweins, Rufus Beck und Randolf Kronberg ihre Stimmen. Denn erst die Schauspieler mit ihren Stimmen hauchen den Figuren Leben ein. Daran vermag auch die beste Computeranimation nichts zu ändern.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.07.2001