Hintergrund
Wenn der Staat tötet
Szene aus dem Film "Monster's Ball"
Wenn der Staat tötet, ist die Todesstrafe Albert Camus zufolge "der vorsätzliche Mord, mit dem kein geplantes Verbrechen verglichen werden kann". Insgesamt 5.265 Menschen wurden im Jahr 2001 in 50 Staaten der Welt zum Tode verurteilt, 3.048 Hinrichtungen verteilt auf 27 Staaten sind dokumentiert. Damit hat sich die Zahl der vollstreckten Todesurteile gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. In rund 100 Ländern weltweit werden Menschen zum Tode verurteilt, 16 Staaten verhängen Todesurteile nur bei schweren Verbrechen oder im Kriegsfall. In 25 Ländern ist die Todesstrafe zwar gesetzlich verankert, wird aber seit mindestens zehn Jahren nicht mehr vollstreckt. Die große Mehrzahl der Hinrichtungen weltweit konzentriert sich auf einige wenige Staaten wie China (mindestens 2.468 Menschen allein im Jahr 2001) und auf die fundamentalistisch geprägten Staaten wie Iran, Nigeria oder Sudan, in denen beispielsweise Ehebruch mit Steinigung bestraft wird.
In Deutschland abgeschafft
Wie in 62 weiteren Staaten ist in Deutschland die Todesstrafe gänzlich abgeschafft. Die 1848 verabschiedete Paulskirchen-Verfassung sah in den deutschen Kleinstaaten zwar bereits die Abschaffung der Todesstrafe vor, doch blieb sie de facto in Kraft oder wurde nach kurzer Zeit in den meisten deutschen Staaten wieder eingeführt. Erst der Parlamentarische Rat verankerte nach dem Zweiten Weltkrieg das endgültige Verbot in Artikel 102 des Grundgesetzes, ein Todesurteil wurde in Deutschland letztmals im Jahr 1949 vollstreckt.
Einflussnahme
Weltweit setzen sich Menschenrechtsorganisationen und Bürgerrechtsbewegungen für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Auch die Europäische Gemeinschaft versucht entsprechend Einfluss auf Staaten zu nehmen. Dass dieses Bemühen bisweilen erfolgreich ist, beweist der Druck auf den EU-Beitrittskandidaten Türkei. Seit August 2002 ist die Todesstrafe in der Türkei abgeschafft, sie darf nur noch in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr verhängt werden. Todesurteile wegen terroristischer Straftaten werden in lebenslange Haft umgewandelt. Die Änderung ist Teil eines umfassenden Reformpakets, mit der die Türkei vor dem nächsten EU-Gipfel ihre Chancen auf Beitrittsverhandlungen erhöhen will.
Menschenrechte in den USA ...
Kritiker der Todesstrafe verweisen auf Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948: "Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person." Artikel 5 führt weiter aus: "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden." Zur Einhaltung dieser Erklärung haben sich – wie alle übrigen UN-Mitgliedsstaaten – auch die USA verpflichtet. Die Vereinigten Staaten haben zahlreiche Menschenrechtsstandards auf den Weg gebracht, immer wieder betont die Regierung die Bedeutung des Völkerrechts. Andererseits ist Amerika nur zögerlich bereit, sich an diese Standards zu binden. Soweit die USA überhaupt den einschlägigen internationalen Abkommen beigetreten sind, wurden gewichtige Vorbehalte gegen einzelne Vertragsklauseln geltend gemacht. So behielten sich die USA bei ihrem Beitritt zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte das Recht vor, die Todesstrafe auch weiterhin gegen jugendliche Straftäter verhängen zu können, obwohl der Pakt dies ausdrücklich untersagt.
Szene aus dem Film "Monster's Ball"
... und amerikanische Todeszellen
In 38 der 50 Bundesstaaten der USA ist die Todesstrafe festgeschrieben, lediglich in elf Bundesstaaten ist sie abgeschafft. Auch auf Bundesebene sind Todesurteile möglich. In amerikanischen Todeszellen sitzen rund 3.700 Gefangene. Die Kandidaten warten im Durchschnitt sieben Jahre auf ihre Exekution durch Giftspritze, Gaskammer, Elektrischen Stuhl, Erschießen oder Erhängen. Im Jahr 2001 wurden in den USA 63 Männer und drei Frauen hingerichtet. Die Zahl der Getöteten nach der Aufhebung des Hinrichtungsmoratoriums durch den Obersten Gerichtshof im Jahre 1976 erhöhte sich damit auf insgesamt 749. Darunter sind nicht nur zahlreiche jugendliche Straftäter. Nach Angaben der Organisation "Human Right Watch" wurden seit 1976 in den USA auch rund 35 geistig behinderte Menschen in 24 Bundesstaaten hingerichtet. Ein bekanntes Beispiel ist Alexander Williams, der im US-Bundesstaat Georgia wegen der Ermordung eines 16-jährigen Mädchens zum Tode verurteilt wurde. Zum Tatzeitpunkt war er 17 Jahre alt und litt an Schizophrenie.
Fehlerhafte Urteile ...
Zwar halten die meisten Amerikaner Exekutionen noch immer für eine angemessene Strafe, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Gleichwohl wächst das Unbehagen. Grund für die aktuelle Debatte ist u. a. eine juristische Studie der Columbia-Universität New York. Sie dokumentiert, dass zwei Drittel der Todesurteile, die in den USA zwischen 1973 und 1995 gefällt wurden, fehlerhaft waren. Sie mussten überprüft und zum großen Teil aufgehoben oder in geringere Strafen umgewandelt werden. Sieben Prozent aller zum Tode Verurteilten waren unschuldig. Im Februar 1997 wurde beispielsweise Curtis Kyle nach 14 Jahren aus dem Todestrakt entlassen, sämtliche gegen ihn erhobenen Anklagepunkte mussten fallengelassen werden. Zuvor hatte er in fünf Strafprozessen vor Gericht gestanden und war zweimal beinahe hingerichtet worden. Kyle war seit 1973 der 75. Gefangene, der freigelassen wurde, weil man ihn zu Unrecht zum Tode verurteilt hatte. Mindestens 23 Angeklagte sind allein seit 1990 hingerichtet worden, obwohl sie unschuldig waren.
Szene aus dem Film "Monster's Ball"
... und ihre sozialen Ursachen
Als häufigste Ursache für Fehlurteile nennt der Bericht die unzureichende Unterstützung der Verteidigung und die Zurückhaltung von Unschuldsbeweisen durch die Staatsanwaltschaft. Ob jemand zum Tode oder zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird, hängt demnach oft mehr von der Qualität der Verteidigung als von der Schwere der Tat ab. Ein Angeklagter, der sich keinen erfahrenen und versierten Anwalt leisten kann, wird eher zum Tode verurteilt. Zudem haben bereits in den 1960er Jahren Studien nachgewiesen, welch große Rolle – neben dem sozialen Status der Angeklagten – Rassendiskriminierung und Vorurteile der Geschworenen bei der Verhängung der Todesstrafe spielen. 82 % der seit 1977 hingerichteten Gefangenen waren Schwarze. In der Regel wurden sie des Mordes an einem Weißen für schuldig befunden. Während Schwarze nur 12 % der Gesamtbevölkerung stellen, machen sie 42 % der zum Tode verurteilten Gefangenen aus.
Umdenkungsprozesse
Die gesellschaftliche Diskussion, die in Amerika um die Todesstrafe entbrannt ist, zeigt erste Folgen. So ist das Mindestalter jugendliche Straftäter bei der Verhängung der Todesstrafe auf 16 Jahre festgesetzt worden, im Herbst 2002 wird der Supreme Court entscheiden, ob Verurteilte hingerichtet werden dürfen, die zur Tatzeit minderjährig waren. Die Todesstrafe an psychisch Kranken darf nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs (Juni 2002) nicht mehr vollstreckt werden, da es den Tätern an der moralischen Schuldfähigkeit mangele. In einigen Bundesstaaten haben Gouverneure zudem ein Moratorium für die Todesstrafe verhängt, weil sie an der Gerechtigkeit der Gerichtsverfahren zweifeln.
Autor/in: Hanns-Jörg Sippel (punctum, Bonn), 21.09.2006