Hintergrund
Der lange Weg der Schwarzen in Afrika und in den USA zur Gleichberechtigung
Europa, die Alte Welt, auch Erste Welt genannt, ist überwiegend von Weißen bevölkert. Kaum hatten die Europäer Bekanntschaft mit den Schwarzen in Zentralafrika gemacht, hielten sie sich auch schon für die "bessere Rasse", der allein es im günstigen Fall vorbehalten war, die Schwarzen in die so genannte Zivilisation einzuführen, nachdem man sie zuvor als billige Arbeitskräfte missbrauchte und ihre eigene Kultur an den Rand drängte oder gar vernichtete. Bis zur angestrebten faktischen Gleichberechtigung zwischen Schwarzen und Weißen war es über Jahrhunderte hinweg ein weiter Weg, trotz Christentum und Nächstenliebe, trotz Aufklärung und dem humanistischen Prinzip, dass alle Menschen gleich sind, nicht nur vor Gott allein. In der Praxis, im täglichen Zusammenleben zwischen den Rassen, gibt es nach wie vor große Ungleichbehandlung und Konflikte, die durch ökonomische Faktoren verstärkt werden.
Kolonialismus und Sklaverei
Die Tragödie der schwarzen Menschen in Afrika setzte im 15. Jahrhundert ein, als die Araber die "Ware Mensch" entdeckten und die ersten Sklaven/innen aus Afrika nach Europa verkauften. Nach der Entdeckung Amerikas und dem immensen Bedarf an billigen Arbeitskräften auf den neu geschaffenen Plantagen begann ein reger Überseehandel der seefahrenden Kolonialmächte Europas, der als transatlantischer Dreieckshandel bekannt ist. Von Europa brachen die Händler mit beladenen Schiffen voller Handelsware und Waffen an die Westküste Afrikas auf. Dort verkauften sie die Ladung an afrikanische Händler und stopften ihre Schiffe mit Sklaven/innen voll, die sie auf der anderen Seite des Atlantiks auf Sklavenmärkten verkauften. An den wertvollen Plantagenerzeugnissen, die sie nach Europa zurück brachten, verdienten sie ein drittes Mal. Insgesamt wurden binnen drei Jahrhunderten zwischen elf und 40 Millionen Menschen versklavt, ebenso hoch soll die Zahl derjenigen sein, die bei den Sklavenjagden oder auf der Überfahrt umgekommen sind. Afrika blutete auf diese Weise demografisch aus.
Befreiungsbewegungen in den USA
Sklaven/innen haben zu allen Zeiten Widerstand gegen ihre Verschleppung und Unterdrückung geleistet. Auch unter den Weißen regte sich bereits 1688 der erste organisierte Widerstand gegen die unmenschlichen Praktiken. Aber erst 1865 wurde die Sklaverei in den USA offiziell abgeschafft, nicht zuletzt durch die Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt im Zeichen der Industrialisierung und aufgrund des Sieges der liberalen Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg gegenüber den eher rückständigen Südstaaten mit unverändert hohem Bedarf an Sklaven/innen auf den Plantagen. Noch im selben Jahr gründeten radikale Weiße die Geheimbundorganisation "Ku-Klux-Klan" mit dem Ziel, die schwarze Bevölkerung durch Terrormaßnahmen weiterhin still und gefügig zu halten. Zugleich waren die Schwarzen durch ein Pacht- und Abgabensystem der Regierung nach wie vor fest an die Wirtschaftsformen der weißen Oberschicht gebunden. Rassenvorurteile und faktische Ungleichbehandlung bis hin zur Unterdrückung existierten fast ein ganzes weiteres Jahrhundert fort bis zum Zweiten Weltkrieg, in dem viele Schwarze an der Seite von Weißen gegen das nationalsozialistische Terrorregime kämpften. Der große Umschwung kam aber erst mit dem schwarzen Bürgerrechtskämpfer Dr. Martin Luther King (1929-1968), der ab 1955 mit dem Busstreik von Montgomery und seinem gewaltfreien Widerstand gegen die Diskriminierung zum Hoffnungsträger für die Schwarzen wurde. Am 28. August 1963 formulierte er auf einem Protestmarsch nach Washington seinen berühmten Traum, seine Kinder könnten eines Tages in einer Nation leben, "in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird". Wenige Monate später wurde der damalige US-Präsident John F. Kennedy ermordet, der ihn und die Forderungen der Schwarzen nach Gleichberechtigung offen unterstützte und ein generelles Diskriminierungsverbot auf den Weg gebracht hatte, das jedoch erst nach seinem Tod als "Civil Rights Act" 1964 vom Kongress verabschiedet wurde. Zwei Jahre später proklamierte die "Black Power-Bewegung" unter ihrem Führer Malcolm X gewaltsamen Widerstand gegen die nach wie vor praktizierte Ungleichbehandlung und King jr. fiel 1968 einem Attentat zum Opfer. Trotz zahlreicher gesetzlich verankerter Maßnahmen für die Gleichstellung von Schwarzen kommt es bis heute immer noch zu Rassenunruhen und rassistisch motivierten Übergriffen.
Unabhängigkeitsbestrebungen der afrikanischen Staaten
Etwa zeitgleich mit dem Bewusstseinswandel in der Bevölkerung und dem Erstarken der schwarzen amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (Martin Luther King erhielt 1957 sogar eine Einladung nach Ghana) erlangten auch viele afrikanische Mutterländer ihre politische Unabhängigkeit von den ehemaligen Kolonialmächten. Diese hatten den Kontinent auf der Berliner Afrika-Konferenz im Jahre 1894 unter sich aufgeteilt und die jeweiligen Kolonien bis zum Zweiten Weltkrieg möglichst effizient ausgebeutet. 1941 proklamierten der amerikanische Präsident F.D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill in ihrer "Atlantik-Charta" das Recht aller Völker, "sich die Regierungsform zu wählen, unter der sie leben wollen" und forderten die Rückgabe der Souveränitätsrechte und Selbstverwaltung an jene, denen sie gewaltsam entrissen wurde. Diesen auf die von Nazi-Deutschland okkupierten Länder bezogenen Anspruch machten sich schnell auch die afrikanischen Völker zu eigen. Nach Kriegsende waren die Kolonialmächte geschwächt und 1947 formierte sich in Nordafrika der erste Widerstand in der Bevölkerung gegen die französische Herrschaft. Mit dem Mau-Mau-Aufstand in Kenia zwischen 1952 und 1956 gegen die britische Kolonialmacht schöpften auch andere afrikanische Staaten Hoffnung auf eine baldige Unabhängigkeit, die durch die panafrikanische Bewegung und ihre Aufwertung der schwarzen Rasse und der afrikanischen Kulturen genährt und verstärkt wurde. Für Kenia selbst kam die Unabhängigkeit zwar erst 1963, für 17 andere Staaten jedoch bereits 1960. Die meisten afrikanischen Staaten erlangten sie zwischen 1958 und 1965. Am 25. Mai 1963 gründeten 23 unabhängige Staaten im äthiopischen Addis Abeba die "Organisation of African Unity" (OAU) mit dem Ziel, die Einheit und Solidarität unter den Staaten des afrikanischen Kontinents zu fördern, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen und Wohl und Wohlstand ihrer Völker zu sichern. Die Organisation für afrikanische Einheit ging am 11. Juli 2000 in die Nachfolgeorganisation "Afrikanische Union" (AU) über, die neben der Souveränität und Integrität der einzelnen Staaten nun als ihre wichtigsten Ziele die Integration in die globale Wirtschaft und die Förderung von demokratischen Prinzipien und Institutionen definiert.
Apartheid in Südafrika
Südafrika nimmt bei der Entwicklung zur Unabhängigkeit des Kontinents eine Sonderstellung ein. Erst 1994, nach dem Ende der Apartheid, wurde es das damals 53ste Mitglied der OAU. Bereits mit der Gründung der Südafrikanischen Union 1910 betrieben die weißen Machthaber, Briten und vor allem Holländer, eine konsequente Politik der Rassentrennung, die ohne Erfolg von den damals gegründeten Widerstandsbewegungen wie dem African National Congress (ANC) bekämpft wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschärfte sich unter dem Buren D. F. Malan, dem Führer der rechtskonservativen National Party, und in Folge der zwischen 1949 und 1971 erlassene Gesetze zur Großen Apartheid die Politik der institutionalisierten Rassentrennung und Diskriminierung der zu etwa 80 Prozent schwarzen Bevölkerung. Sie dehnte sich auf nahezu alle Lebensbereiche aus, von Berufen, die nur Weißen offen standen, über die getrennte Benutzung von öffentlichen Einrichtungen bis zum strikten Heiratsverbot zwischen Schwarzen und Weißen und der gewaltsamen Vertreibung aus Wohnungen und ganzen Stadtteilen wie 1955 in Sophiatown, die den Weißen vorbehalten sein sollten. Der komplette Ausschluss der Schwarzen von politischer und wirtschaftlicher Mitsprache wurde ab 1951 auch durch die Einrichtung so genannter Homelands erzielt, in die über neun Millionen Schwarze zwangsumgesiedelt wurden. Sie durften sich dort zwar pro forma selbst verwalten, standen aber unter der Oberhoheit der weißen Führungsschicht und benötigten einen Passierschein, wenn sie das Gebiet verlassen wollten. Nachbarländer wie Namibia, Angola und Mosambik, die den ANC unterstützten, wurden unter Druck gesetzt, politisch destabilisiert oder gar mit Waffengewalt in einen Bürgerkrieg verwickelt und auf diese Weise ebenfalls an ihrer frühzeitigen Unabhängigkeit gehindert. Trotz Waffenembargo der Vereinten Nationen ab 1963 (verbindlich ab 1977), internationaler Ächtung des rassistischen Unrechtsregimes, erbittertem Widerstand des sich militarisierenden ANC und jahrelangem Schulboykott vieler Tausend Kinder unter dem Motto "Befreiung vor Erziehung" hielt sich das Apartheidregime nicht zuletzt durch die Unterstützung von internationalen Wirtschaftsunternehmen bis ins Jahr 1990, als die Gesetze unter dem Druck der USA und Großbritanniens von dem neuen Machthaber Fredrik Willem de Klerk gelockert und bis 1991 ganz abgeschafft wurden. Am 11. Februar 1990, 27 Jahre nach seiner Verhaftung, wurde ANC-Führer Nelson Mandela, die Symbolfigur des schwarzen Widerstands, aus dem Gefängnis entlassen. Am 10. Mai 1994 wählten ihn die Schwarzen in freien Wahlen zum neuen Präsidenten und am 27. April war die Ära des alten Kolonialsystems endgültig zu Ende.
Neokolonialismus
Mit der Unabhängigkeit von den Kolonialmächten entstanden für die jungen afrikanischen Staaten neue Probleme. Das Machtvakuum in den entkolonialisierten Ländern konnte nicht immer gleich gefüllt, die Verwaltungsorgane mussten vielfach erst neu aufgebaut und die verschiedenen Kulturgemeinschaften zu einer nationalen Einheit verbunden werden. In den meisten Ländern bildeten sich Einheitsparteien, die sich jedoch bald als untauglich für die anstehenden Herausforderungen erwiesen. Sie führten zusammen mit einer chronischen Wachstumsschwäche – der ganze Kontinent erwirtschaftet nur etwa zwei Prozent des Weltbruttosozialprodukts – zu Bürokratisierung, Korruption, Fehlplanungen und politischer Gewalt. Sezessionsbestrebungen und Bürgerkriege waren die Folge. Häufig wurden die Einheitssysteme auch durch Militärputsche abgelöst. Die Schuldenkrise der 1980er-Jahre und die Finanzkrisen der 1990er-Jahre blockierten gleichzeitig die ökonomische und soziale Modernisierung. Die Auswirkungen der Globalisierung führten ebenfalls zu ökonomischen Sachzwängen, die zu erneuter Abhängigkeit und Ausbeutung durch die führenden Industrienationen beitrugen. Gelingt es Afrika und der Weltgemeinschaft nicht, diese Formen des Neokolonialismus zu überwinden und die Schwarzen von der Verliererseite weg zu Partnern zu machen, könnte sich dieser Krisenherd zu einem gewaltigen politischen Flächenbrand entwickeln. Literaturhinweise: Böhler, Katja/Hoeren, Jürgen (Hrsg.): Afrika, Mythos und Zukunft, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 426, Bonn 2003 Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Krisenkontinent Afrika, Das Parlament, Themenausgabe Nr. 10/04 Delacampagne, Christian: Die Geschichte der Sklaverei, Düsseldorf/Zürich 2002 Nohlen, Dieter (Hrsg.): Lexikon Dritte Welt, Reinbek 2002
Autor/in: Holger Twele, 21.09.2006