Interview
"Medien leben von negativen Nachrichtenfaktoren"
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Kai Hafez, Universität Erfurt, Fachbereich Kommunikationswissenschaften
Das Interview führte Susanne Gupta.
Wie lässt sich sechs Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York das Verhältnis von Terrorismus und Medien beschreiben?
Moderner Terrorismus ist – obwohl das zynisch klingt – ein symbolischer Terrorismus. Die Opfer, die getroffen werden, sind nicht diejenigen, die eigentlich getroffen werden sollen. Sie repräsentieren lediglich eine Bevölkerungsgruppe mit einer demokratischen Regierung, an die eine Botschaft gesendet werden soll. Medien leben von negativen Nachrichtenfaktoren wie "Konflikt und Gewalt". Das verkauft sich gut, weil im Publikum eine Art "Angstlust" vorhanden ist.
Könnte man sogar von einer Komplizenschaft der Medien sprechen?
Eine These ist, dass erst die modernen Massenmedien den modernen Terrorismus ermöglichen. Denn ohne die häufig hochemotionalisierte Berichterstattung über Opfer oder Entführungen wäre er nicht in der Lage, seine kommunikative Absicht zu erfüllen. Wahrscheinlich entfielen solche "Szenarien" wie der Einsturz des World Trade Centers, wenn die Massenmedien ihre "Dienste" einstellen würden. Der Journalismus sollte sachlicher sein und Emotionalisierungen vermeiden.
Welchen Rat würden Sie Programmmachern/innen im Fernsehen geben?
Es wird wenig grundsätzlich reflektiert, wie über Terrorismus berichtet werden sollte. Oft werden Panikbotschaften, beispielsweise über Hinrichtungen, eins zu eins in Sondersendungen übernommen. Es sollten jedoch Hintergründe und Zusammenhänge aufgezeigt werden, um Terroristen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. In der momentanen Berichterstattung wird ihre moralische Integrität deswegen verurteilt, weil sie Zivilisten töten. Für die Terroristen jedoch ist das gar kein Problem, weil sie ihr Handeln in ihrer selbstempfundenen Notlage als legitim definieren. Prekär würde es aber, wenn beispielsweise aufgedeckt würde, wie Organisationen von Terroristen mit Drogengeldern arbeiten und damit gegen ihre eigene Moral verstoßen.
Sie haben in einer aktuellen Studie das Gewalt- und Konfliktbild Islam nach dem 11. September 2001 in öffentlich-rechtlichen Medien untersucht. Inwiefern hat sich unsere Wahrnehmung des Islam verändert?
Unsere Wahrnehmung des Islam durch die Massenmedien ist eine reduzierte und der thematische Zusammenhang, in dem wir ihn betrachten – Terrorismus, Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung von Frauen, Integrationsprobleme und einige andere Aspekte – ist so begrenzt, dass eigentlich nur ein negatives Bild entstehen kann. Das ist sicher keine adäquate Wiederspieglung von Realitäten in der islamischen Welt.
Haben die Ereignisse um "9/11" die deutsche Integrationsdebatte befruchtet oder die Probleme eher verschärft?
Viele Muslime fühlen sich unter Generalverdacht gestellt. Das Kainsmal der Nichtintegration und des Ausgeschlossenseins ist größer geworden. Anderseits können gerade in Konfliktzeiten gesellschaftliche Brücken stabilisiert werden. Insgesamt ist die Beschäftigung miteinander intensiver geworden. Islamische Beratungsgremien in westeuropäischen Regierungen haben zugenommen – in England, Frankreich und Deutschland. Die muslimischen Communities haben nach "9/11" stärker als zuvor Gehör gefunden und sind gezwungen, sich zu artikulieren.
Schürt die Berichterstattung in Deutschland ein fremdenfeindliches Gesellschaftsklima?
70 bis 80 Prozent der deutschen Bevölkerung äußert heute Angst vor dem Islam. Vor zehn Jahren waren es 40 bis 50 Prozent. Die Berichterstattung fördert dies mit hoher Wahrscheinlichkeit. Wie aus Angst jedoch Rassismus wird, ist ein komplexer Vorgang. Man kann Medien keine Brandstifterrolle vorwerfen, doch tragen sie bei zur Verbreitung von Angst und vielleicht auch dazu, dass ein Feindbild ausprägt wird.
Braucht der Westen ein Feindbild?
Möglicherweise ja. Westliche Demokratien sind keine friedlichen Demokratien, wenn man ihre globalen Zusammenhänge betrachtet. Die Amerikaner haben beispielsweise Kontakte zu islamischen Kräften in der ganzen Welt. Aber sie sind, wenn sie einen Krieg führen wollen, in der Lage, ein gesellschaftlich virulentes Feinbild Islam zu aktivieren. Dieses Aktivierungspotential müssen wir Politikern entziehen, in dem wir unseren Bildungsinstitutionen, unsere Film-, Kunst und Kulturlandschaften weiterentwickeln. Dass sich nach 1400 Jahren Islam im Westen ein Feinbild nach dem Motto "Muslime wollen uns alle vernichten und sind auf dem Weg, einen neuen Kreuzzug zu führen" so leicht herstellen lässt, ist eine Absurdität der Aufklärung.
Welche Rolle kann das Kino bei der Verarbeitung traumatischer Ereignisse spielen?
Gerade in den emotionalen Haushalten von Menschen können fiktionale Genres Enormes leisten. Filme können die Angst vor dem Terrorismus bearbeiten, seine Hintergründe darlegen. Eine konstruktive fiktionale Auseinandersetzung mit Weltfragen würde möglicherweise den ganzen Informationssektor entlasten. Gute Filme zu "9/11" oder über Terrorismus können dazu führen, dass sich das Nachrichtengeschäft auf eine sachliche Berichterstattung konzentriert, weil es die Aufgabe der "Unterhaltung" nicht mehr bedienen muss.
04.09.2007
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