
Tobias Ebbrecht
Tobias Ebbrecht ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Filmgeschichte an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit leitet er Workshops zur Ausbildung von Medienkompetenz. Auf der internationalen Konferenz
Täterforschung im globalen Kontext (27. - 29. Januar 2009), die unter anderem von der bpb veranstaltet wurde, referierte er über die Darstellung von Tätern in Filmen und deren Bedeutung für die Filmerziehung.
Inwiefern können Filme unterstützend wirken, um sich mit dem Nationalsozialismus und der Frage der Täterschaft auseinanderzusetzen – Themen, denen Schülerinnen und Schüler auch mit einem gewissen Widerstand begegnen?
Ich habe den Eindruck, dass die Art, wie die Geschichte des Nationalsozialismus medial und gesellschaftlich präsentiert wird, in gewisser Weise den Unmut mit verursacht, sich damit beschäftigen zu wollen. Denn eigentlich lernen Schüler ja oft gleich mit, dass dies ein negativ besetztes Thema ist, das mit Schuld assoziiert und mit einem gewissen Unbehagen bearbeitet wird. Es liegt an den Lehrern, zu vermitteln, wie wichtig es auch für die Auseinandersetzung mit den eigenen Problemen sein kann, sich damit zu beschäftigen. Die Geschichte des Nationalsozialismus ist ja in der Tat so vielschichtig, dass sie uns bis heute nicht loslässt. Wir versuchen immer wieder zu verstehen, was da geschehen ist: Wie konnten in der Mitte einer Kulturnation wie Deutschland solche Verbrechen entstehen? Dies wird immer wieder angemerkt. Das bedeutet, dass das Thema nicht abgeschlossen ist. Es konfrontiert, weil es mit uns zu tun hat. Und das kann auch als Anregung verstanden werden. Das muss aber auch vermittelt werden. Ich glaube aber auch, Filme und Medien können genau das Gegenteil bezwecken: Sie können es leicht machen, sich einen komfortablen Platz in der eigenen nationalen und familiären Geschichte zu suchen, der ohne Konfrontation und ohne Zweifel ist.
Welche Art von Filmen fördern eher die kritische Auseinandersetzung, welche sind ihr hinderlich?
Ich glaube, dass Filme, wie sie in letzten Jahren sehr erfolgreich waren – beispielsweise
Der Untergang,
Napola oder ein Fernsehfilm wie
Dresden – im Prinzip die Geschichte "verschließen" und nicht als ungelöst und bis heute noch offen und damit interessant bestehen lassen. Sie suggerieren einerseits, sie würden Geschichte authentisch abbilden, und andererseits zeigen sie die Geschichte geprägt vom Blick der Gegenwart. Ich nenne das filmische Geschichtsfiktion. Sie spalten auf in Gut und Böse, die Nazis auf der einen, die guten Deutschen auf der anderen Seite. Dadurch wird genau diese Ambivalenz, dieses Ungelöste in der Auseinandersetzung mit den Tätern, die ja oft Teile unserer Familie waren oder sind, nicht zum Gegenstand gemacht. Ich habe eher das Gefühl, die Filme transportieren einen nostalgischen Blick für eine ältere Generation und erzählen Abenteuergeschichten für die Jüngeren, in denen ein klares Ende jeden weiteren Blick zurück überflüssig macht.
Wie kann ein Film das Gegenteil bewirken, nämlich sich kritisch und gegenwartsbezogen mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzen?
Ich glaube, dass dokumentarische Filme mehr Möglichkeiten haben, gerade dann, wenn sie sich ablösen von einem nüchternen oder distanzierten historischen Überblick wie in den Kompilationsfilmen der fünfziger oder sechziger Jahre. Vor allem subjektive, autobiografische Geschichten können zeigen, dass die Vergangenheit in der Gegenwart nach wie vor präsent ist, dass es Auswirkungen gibt, die auch in der zweiten und dritten Nachkriegsgeneration sichtbar und spürbar sind. Und die durch Konfrontation das Publikum emotional ansprechen und involvieren, ihm einen Spiegel vorhalten. Solche Filme enthalten ein größeres Potenzial als jene, die Fiktion als authentische Geschichte beglaubigen.
Können nicht auch über die kritische Reflexion ästhetischer Elemente jene Filme, die Sie als " filmische Geschichtsfiktion" bezeichnen, für den Unterricht nutzbar gemacht werden?
Genau das ist gefordert von den Lehrern: nicht nur das Faktenwissen zu vermitteln, sondern auch das Wissen darüber, mit welchen stilistischen und dramaturgischen Mitteln Filme arbeiten. Gerade
Der Untergang ist ein sehr gutes Beispiel, um filmanalytisch zu arbeiten. Der Film stützt sich ja auf Quellen und wir können die Schüler anleiten, nachzuforschen, wie Fakten dargestellt werden. Beispielsweise bestimmte Handlungsstränge zu vergleichen mit dem Interviewfilm
Im toten Winkel, wo Hitlers Sekretärin Traudl Junge sehr detailliert von der Zeit erzählt, die sie in Hitlers Diensten verbrachte. Damit lernen die Schüler einen Film innerhalb eines intertextuellen Gefüges zu sehen. Genau dieses intertextuelle Gefüge macht ein Film wie
Der Untergang aber unsichtbar. Und deswegen ist es auch die Aufgabe von Lehrern, solche Darstellungsformen für die Schüler nachvollziehbar zu machen. Dann merkt man: Wie wird Geschichte im Film eigentlich konstruiert und was sagt uns das über unsere gegenwärtige Gesellschaft und unsere Auseinandersetzung mit den Tätern und der Geschichte des Nationalsozialismus?
Nun gibt es ja eine ganze Reihe von Filmen, unter anderem auch Der Vorleser, die in Form eines Gerichtsdramas den Täterinnen und Tätern den Prozess machen. Welchen filmpädagogischen Zugang eröffnet diese besondere filmische Form?
Wenn man sich mit Nationalsozialismus im Unterricht auseinandersetzt, dann muss es darum gehen, so etwas wie Urteilsfähigkeit zu vermitteln. Durch das erzählerische Element des Prozesses werden die unterschiedlichen Perspektiven sichtbar: die angeklagten Täter, die Zeugen, der Urteilsprozess. In dieser Multiperspektivität geht es aber nicht darum, Meinungen einfach nebeneinander zu stellen, sondern darum, ein Urteil zu fällen. Das führen einem Gerichtsfilme wie zum Beispiel Stanley Kramers
Das Urteil von Nürnberg gewissermaßen vor. Diese Filme repräsentieren Geschichte und fordern uns als Zuschauer denn auch zu einem Urteil heraus.
Zunächst geht es aber doch im Unterricht vor allem darum, Schülerinnen und Schüler überhaupt für das Thema zu begeistern.
Richtig. Wir sollten die Schüler anleiten, Geschichtsdetektive zu werden, hinter die Bilder zu schauen. Dieses Detektivische zieht einen hinein, man wird Teil des Geschehens, macht praktische Aufklärung. Wenn sich ein Lehrer die Mühe macht, die Strukturen des Erzählens frei zu legen und den Schülern die Möglichkeit gibt, das Referenzmaterial zu sichten, kann er hierzu fast alle Filme verwenden. Interessant ist es beispielsweise, jenseits von Hitler andere Nazitäter zu betrachten: Wie werden sie in unterschiedlichen Filmen dargestellt? Dann gibt es eine ganze Reihe von Filmen, die sich mit persönlicher Familiengeschichte beschäftigen,
Zwei oder drei Dinge, die ich von ihm weiß von Malte Ludin beispielsweise. Das bietet einerseits Möglichkeiten, an Konflikte anzuknüpfen, die Jugendliche heute haben, nämlich Identitätskonflikte: Wer bin ich? Woher komme ich? Sie können andererseits die Neugier fördern, hinter die bekannten Film- und Medienbilder zu blicken und insofern Geschichte wieder für sich lebendig zu machen. Das Vermitteln von Medienkompetenz durch einen fragenden und hinterfragenden Zugang halte ich für wichtig. Denn der Nationalsozialismus ist ein Thema, das immer wieder neue Aspekte aufwirft, diese Geschichte ist nicht abgeschlossen.