Karate Kid 1984
Im Kinojahr 1984 mauserte sich der US-amerikanische Teenagerfilm
Karate Kid (The Karate Kid, John G. Avildsen) zu einem großen Überraschungserfolg. Es geht darin um einen 16-jährigen Halbwaisen, der mit seiner Mutter von New York nach Los Angeles zieht und in seiner neuen Heimat nicht glücklich wird. Nachdem er mit dem "falschen" Mädchen angebändelt hat, wird er von einem Schulschläger mit schwarzem Karate-Gürtel fortwährend schikaniert. Seiner Mutter und den Lehrern/innen mag er sich nicht anvertrauen, stattdessen nimmt sich ein japanischer Hausmeister seiner an. Der unscheinbare ältere Herr entpuppt sich als Karate-Meister und lehrt den Jungen auf höchst unkonventionelle Weise erst Disziplin und dann die hohe Kunst der Selbstverteidigung. Im Finale des Films, einem großen Karateturnier, kommt es zum Wiedersehen der beiden jugendlichen Kontrahenten. Der Held siegt im sportlichen Wettkampf, verdient sich den Respekt der Mitschüler/innen und geht mit dem Mädchen heim.
Coming-of-Age-Geschichte
Es ist eine simple, geradezu archetypische Geschichte, die zwei Fortsetzungen hatte und für eine allgemeine Kampfsportbegeisterung sorgte. Nun erlebt sie mit Harald Zwarts
Karate Kid ihre Auferstehung. Das Remake erzählt im Wesentlichen die gleiche Geschichte und wandelt diese lediglich in Details ab. Am auffälligsten sind der Wechsel der Sportart (Kung-Fu ersetzt dem Titel zum Trotz Karate) sowie die Verlegung des Schauplatzes nach China. Die Mutter des amerikanischen Protagonisten zieht aus Detroit nach Peking, wo der junge Dre eine internationale Schule besucht. Ansonsten bedient sich auch Zwart der klassischen Dramaturgie des
Coming-of-Age-Genres: Der jugendliche Held ist zunächst auf sich allein gestellt und orientierungslos. Er findet einen väterlichen Freund, lernt durch die sportliche Unterweisung sich selbst und die Anforderungen des Lebens besser verstehen, meistert seine Probleme und überwindet seine Furcht. Es ist deswegen etwas erstaunlich, dass die Hauptfigur im Remake erst zwölf Jahre alt ist. Diese "Verjüngung" soll offenbar die Beobachtung unterstreichen, dass Jugendliche immer seltener in behüteter Umgebung groß werden und deshalb früher "erwachsen" werden müssen.
Philosophie des Kampfs
Wie im Original wird auch in Zwarts
Karate Kid wenig gekämpft. Es gibt eine in rasante
Schnittfolgen aufgelöste Verfolgungsjagd, bei der Dre vor seinen Peinigern durch enge Gassen flieht und in einem Hinterhof gestellt wird. Hier tritt der von Jackie Chan dargestellte Hausmeister Mr. Han zum ersten Mal als Kampfkünstler in Erscheinung. Er rettet den jungen Helden vor einem halben Dutzend Schlägern, indem er an ihnen das Prinzip seiner Kampfkunstschule demonstriert: Mr. Han nimmt die Energie der Angreifer auf, um sie gegen diese selbst zu richten. Später fasst er diese defensive Philosophie in die Worte "der beste Kampf ist der, den man vermeidet", was in scharfem Kontrast zum Credo des konkurrierenden Kung-Fu-Lehrers der jungen Schläger steht. Letzterer weist seine Schüler an, weder Schwäche noch Gnade zu zeigen, und schreckt während des Turniers auch vor unfairen Mitteln nicht zurück. Leider wird dieser Gegensatz in den finalen Kampfszenen verwischt. Die teilweise recht brutalen Auseinandersetzungen wirken durch den Einsatz von
Handkamera und rasch wechselnden
Einstellungen sehr dynamisch und realistisch, da auf spektakuläre Actionszenen, wie man sie etwa aus Filmen wie
Hero (Ying xiong, Zhang Yimou, Hongkong, China 2002) verzichtet wurde. Allerdings lassen die Kämpfe kaum Rückschlüsse auf die jeweiligen Kampfstile zu. Dadurch büßt auch am Ende des Films der kollektive Übertritt der unterlegenen Mannschaft zu Chans Trainerfigur etwas von der intendierten Wirkung ein.
Die Rolle des Lehrers
Obwohl
Karate Kid ganz auf das krönende Finale zugeschnitten ist, bildet die ungewöhnliche Lehrzeit das Herz des Films. Zunächst lässt der Hausmeister Mr. Han seinen nachlässigen Schüler über Stunden und Tage hinweg seine Jacke ablegen, vom Boden aufheben und auf einen Haken hängen. Als Dre der Übung müde wird, zeigt ihm Han, dass sich jede Bewegung für die Kampfkunst nutzen lässt. Für den Lehrer ist Kung-Fu eine in Fleisch und Blut übergegangene Lebenseinstellung, die er seinem Schüler beispielsweise bei der Besteigung eines heiligen Berges nahe bringt. Im Laufe des Trainings nähern sich die Hauptfiguren auf anrührende Weise an, zumal wir erfahren, dass Mr. Han Frau und Kind bei einem tragischen Unfall verloren hat. So lässt sich verschmerzen, dass die ganzheitliche Philosophie der Kampfkunst letztlich reine Behauptung bleibt. Ähnlich wie in
Fightgirl Ayse (Fighter, Natasha Arthy, Dänemark 2007) und
The Forbidden Kingdom (Rob Minkoff, USA, China 2008) machen weniger die Martial-Arts-Elemente die Erziehung aus als das gelungene Rollenbild des Lehrers.
Jackie Chan als Vaterersatz
In der Rolle des guten Vorbilds ist Martial-Arts-Superstar Jackie Chan zu sehen. Während er im Westen vor allem für Actionkomödien wie
Rush Hour 1-3 (Brett Ratner, USA 1998, 2001 und 2007) bekannt ist, deutet er seine akrobatische und nicht selten ins Clowneske spielende Kampfkunst in
Karate Kid nur an und zeigt sich ansonsten von seiner zurückhaltenden Seite. Eine überzeugende melodramatische Note erhält sein Charakter durch eine im Vergleich zum Original hinzugefügte Drehbuchidee: In penibler Handarbeit restauriert Mr. Han ein altes Auto, von dem wir spät erfahren, dass in ihm seine Familie gestorben ist. Am Jahrestag des Unfalls zerstört er den fertigen Wagen, um mit der selbst gestellten Strafarbeit wieder von vorne beginnen zu können. In einer schönen Szene überzeugt ihn sein Schüler, der wie im Original Halbwaise ist, dass er seine Trauer hinter sich lassen muss. So erweisen sich Verlust und Trauerarbeit als weitere Themen des Films.
Autor/in: Michael Kohler, Publizist und Filmkritiker, 22.06.2010
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.