"Je dicker umso schicker" oder "Jedes Pfündchen geht durchs Mündchen" – Welten und Werte in Trommelbauch
Groß, dick und kräftig zu sein, ist in Pummelstadt unbedingt eine Tugend. Der jährliche Wettstreit trägt diesem Umstand Rechnung: Wer mit Gewicht und Schwung durch einen Sprung vom Turm das meiste Wasser im Schwimmbecken verdrängt, kann sich als Gewinner feiern lassen. Dik Trommel ist nicht nur Vorjahressieger, auch in diesem Jahr schlägt er die anderen um Längen. Niemanden stört, dass er die Zuschauerbänke samt Publikum dabei unter Wasser setzt, denn es ist Sommer und zu einem ordentlichen Sprung gehört auch ein Spritzbad. Der Wettstreit leitet eine Komödie ein, die Maßlosigkeit und Diätenwahn, Selbstzufriedenheit und Selbstzweifel, Genuss und Genussfeindlichkeit thematisiert. Gleichzeitig werden auch Fragen nach der Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen sowie nach Strategien persönlicher Selbstbehauptung angesprochen.
Fröhlicher Einstieg in eine turbulente Komödie
Bereits in den ersten Bildern wird ersichtlich: Trommelbauch arbeitet mit Übertreibungen und Versatzstücken der Realsatire. Im Stil eines bunten, plakativen Comics verspeisen jubelnde, füllige Menschen Hot Dogs in Großaufnahmen. Tortenstücke verschwinden in leicht verzerrten Einstellungen zwischen roten Lippen, die Pummelstadter essen mit allen Sinnen und einer gehörigen Portion Genuss. Die Konkurrenten/innen des Wettstreits präsentieren sich als stolze, kräftige Übergewichte: Dik Trommel, die Hauptfigur des Films, macht einen immens selbstbewussten Eindruck. Als die Kamera in Zeitlupe zeigt, wie er, einen Hot Dog in der Hand, den Sprungturm besteigt, ahnt jede/r Zuschauer/in den Sieg voraus. Einige Szenen später weist das Ortsschild von Dünnhafen darauf hin, was Familie Trommel in ihrer neuen Heimat erwartet. Doch was den Zuschauenden sofort ins Auge springt, wird von den Neuankömmlingen gar nicht wahrgenommen.
Gegensätze und Extreme
Während in Pummelstadt sinnlich-nahrhafte Genüsse das Leben lebenswert machen, sind es in Dünnhafen Kalorienreduktion und permanente Bewegung. Auf den Straßen joggen alle, selbst im Unterricht trainieren Kinder wie Lehrerin pausenlos. Auch äußerlich weist die Sportgesellschaft einheitliche Züge auf: Auf der Straße, im Fitnessstudio oder in der Boutique tragen alle Dünnhafener Sportkleidung, Schweißband und Gelenkbandagen. Die Wohnungen sind spartanisch eingerichtet, Holme und Laufbänder dominieren die Räume. In Kombination mit der Dauerbewegung ergibt sich dadurch ein Bild großer Rastlosigkeit, ganz im Gegenteil zum gemütlichen Pummelstadt. Lebensführung und Idealvorstellungen der Bewohner/innen beider Orte könnten also gegensätzlicher nicht sein. Um die Ernährungsextreme so absurd wie möglich darzustellen, nutzt Trommelbauch in der Bildgestaltung neben pointierter Ausstattung und Kostümen auch die Stilmittel des Klischees und der Karikatur. Dennoch lässt der Film seinen Hauptfiguren bei aller Überzeichnung eine nachvollziehbare Persönlichkeit. Dieser Darstellungsstil hat den Vorteil, dass schon die jüngsten Zuschauer/innen die Übertreibungen und die Komik der Handlung erkennen, ohne ihre Sympathie für die kindlichen Protagonisten/innen aus dem Blick zu verlieren.
Sympathie für Außenseiter/innen
Zwar werden in Trommelbauch zwei Ernährungsextreme am Beispiel gegensätzlicher Lebensmodelle satirisch so stark überhöht, dass das Publikum die Überzeichnung deutlich erkennt. Bei genauerem Hinsehen gibt es jedoch zahlreiche Hinweise darauf, auf wessen Seite der Regisseur steht: auf der Seite der fülligen Außenseiter/innen, die sich in die für sie neue Gesellschaft einbringen möchten. Dies tun sie zunächst mit Kenntnissen und Erfahrungen, die sie aus ihrer bisherigen Umgebung mitbringen, später mit Angeboten, die ihrer Wahrnehmung der neuen Lebensweise entsprechen. Familie Trommel ist die zentrale Figurengruppe, die mit ihrer warmherzigen Art, intensiven Aufmerksamkeit und gegenseitigen Achtung gefallen und gleichzeitig heimisch werden möchte. Die Herausforderung, sich als Außenseiter/innen behaupten zu müssen, macht die drei Hauptfiguren aus Pummelstadt eindeutig zu den wichtigsten Sympathieträgern/innen. Die anfänglich auch an den Bewohner/innen ihres Herkunftsorts Pummelstadt geübte humorvolle Kritik verblasst dagegen im Verlauf der Geschichte, die sich bald nur noch um das Leben in Dünnhafen dreht.
Die Gesellschaft bestimmt das individuelle Verhalten
Trommelbauch bietet eine Vielzahl unterhaltsamer Anreize, sich mit dem Verhältnis von Körper und Seele, Beweglichkeit und Essgenuss näher zu befassen. Denn die Auswirkungen von Bewegungsmangel und Übergewicht auf der einen Seite, Diätensucht und Fitnesswahn auf der anderen Seite, gehören in unserer Gesellschaft durchaus zu Themen, die Eltern und Pädagogen/innen beschäftigen. Der Film führt beide Extreme vor: Gehörte es in Pummelstadt zum guten Ton, genüsslich in Hot Dogs, Tortenstücke oder Hamburger zu beißen, dominieren in Dünnhafen Schlankheitskult und Fitnesswahn. Hier werden die Nährstoffe jeder Mahlzeit genau kalkuliert, selbst im Mathematikunterricht wird mit Kalorien gerechnet. Auch Frau Trommel orientiert sich an diesen Vorlieben der neuen Nachbarn/innen, will sie doch in Dünnhafen Fuß fassen. Auf die Speisekarte des Familienrestaurants kommen ab sofort nur noch vegetarisch leichte Speisen, serviert mit Stäbchen, damit der Gast nicht zu viel auf einmal in den Mund schiebt.
Der Umgang mit den Kindern
Die Angst vor ungesunder Lebensweise bestimmt in Dünnhafen die Kommunikation und den Umgang der Erwachsenen untereinander sowie ihren Kindern gegenüber. Während sich Familie Trommel beim gemeinsamen Nachtisch gegenseitig ihrer Liebe, Wärme und Zugehörigkeit versichert, erinnern die gemeinsamen Rituale von Sonja Schlag und ihrer Tochter Lieve oder von Fitness-Rolf und Sohn Viktor mehr an kalkulierte Karriereplanung als an lebensfrohe Leichtigkeit. Dass dies zu unerwünschten Reaktionen des Nachwuchses führt, ist nicht verwunderlich: Viktor beispielsweise scheint nicht satt zu werden und Lieve hasst, was ihre Mutter schätzt. Für beide ist der runde Dik mit seinem Selbstvertrauen und seiner Zufriedenheit eine starke Herausforderung. Jemand, der alles macht, was schlecht für den Körper ist, darf eigentlich weder stark noch beliebt sein. Dik ist jedoch beides, ein sympathischer Kerl, der sogar auf dem Laufband zeigt, dass er Dünnhafen gewachsen ist. Ihm kommt man nur mit unlauteren Tricks bei. Während Viktor alles gibt, um Dik bei Lieve auszustechen, akzeptiert Lieve zunächst Diks Freundschaftsangebote, wenn auch heimlich und ein bisschen berechnend. In der Auseinandersetzung und Annäherung der Kinder liegt letztendlich auch die eigentliche Botschaft des Films: Wichtig ist es, ehrlich zu sich selbst zu sein, dann ergibt sich auch Offenheit für Neues. Der Film bringt dies vielleicht etwas vereinfacht auf die Leinwand, das junge Publikum wird es jedoch verstehen.
Autor/in: Rotraut Greune, Medienpädagogin und Sachbuchautorin, 28.03.2013