Ein grünes Leuchten – damit beginnt
Der große Gatsby, Baz Luhrmanns 3D-Filmadaption des gleichnamigen, 1925 erschienenen Romans von F. Scott Fitzgerald. Nacht für Nacht strahlt dieses Licht von der anderen Seite der Bucht zu Jay Gatsby herüber. Jener Bucht vor Long Island, die East Egg von West Egg trennt, altes von neuem Geld, Daisy von Gatsby. Zu Beginn der 1920er-Jahre war die US-amerikanische Gesellschaft in Bezug auf sozialen Aufstieg (zumindest für Weiße) durchlässiger geworden und auch die Emanzipation der Frauen schritt voran. Doch Roman wie Film offenbaren, dass es nach wie vor strikte Konventionen gab, die vor allem in der Oberschicht bestimmten, was sein durfte und was nicht. Und so ist Gatsby ein Mann, dem trotz seines neu gewonnen Reichtums die soziale Anerkennung versagt bleiben wird. Und Daisy eine Frau, die sich für den Self-Made Man Gatsby entscheiden könnte – und es dennoch nicht tut. Darin steckt die bittere Ironie von
Der große Gatsby.
Liebe in sozialen Schranken
Den dramatischen Kern der Geschichte bildet eine Romanze, die vor Beginn der Roman- beziehungsweise Filmhandlung einsetzt: Der junge, mittellose Soldat Gatsby und die schöne, kapriziöse Daisy aus wohlhabendem Elternhaus verlieben sich und schwören einander Treue. Doch als Gatsby ihre Briefe nicht beantwortet und schließlich nicht aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrt, gibt Daisy dem Werben von Tom Buchanan nach, der wie sie zum alten Geldadel gehört. Die eigentliche Filmhandlung spielt Jahre später, als der mittlerweile vermögende Gatsby seine einstige Geliebte zurückgewinnen will und deswegen allwöchentlich überwältigende Partys für die New Yorker High Society veranstaltet, zu denen Daisy jedoch niemals erscheint. Gatsbys Schicksal scheint sich zu wenden, als sein neuer Nachbar, der Börsenmakler Nick Carraway, Daisys Cousin und rückblickender Erzähler im Film (wie auch im Roman), sich bereit erklärt, ein Treffen zu arrangieren. Carraway ist auch der Protagonist einer in einem Sanatorium situierten Rahmenhandlung, die die Binnenerzählung zusammenhält. Man sieht die Welt durch Carraways Augen. Er, der selbst gleichzeitig zugehörig und außen vor ist, wird auch die einzige Figur in
Der große Gatsby sein, die sich entwickeln und tatsächlich etwas begreifen wird: nämlich, dass diese Welt der nicht enden wollenden Partys, der Affären und der süßen Langeweile im Kern leer ist und die Menschen in ihr egozentrisch und zu wahrer Empathie nicht fähig sind.
Roman und Verfilmung
Abgesehen von Nick Carraway verändern sich die Figuren in
Der große Gatsby kaum. Deshalb wurde F. Scott Fitzgerald mitunter vorgeworfen, seine Charaktere nicht wirklich entwickelt zu haben. Diesen Vorwurf könnte man bei Luhrmanns eng an der literarischen Vorlage orientiertem Film ebenso anbringen. Doch greift diese Lesart zu kurz: Denn bei allen charakterlichen Untiefen verfügen die Figuren in
Der große Gatsby über ein feines Gespür für soziale Dynamiken. Sie wissen, wer Gewinner und wer Verlierer ist – und schlagen sich mitleidlos auf die Seite des Stärkeren. Diese bei allem Glamour und Prunk im Kern vollkommen archaische Welt glaubhaft darzustellen, darin liegt eine große Qualität von Luhrmanns Adaption. Dass sein Film dennoch nicht an Fitzgeralds Roman heranreicht, ist zuallererst in dessen sprachlicher Qualität begründet. Aber eben auch in seiner narrativen Struktur. Um Fitzgeralds erzählerischer Detailgenauigkeit in Nichts nachzustehen, verwendet Luhrmann extrem viel Zeit auf die
Exposition, innerhalb der einzelnen Szenen gibt es nur wenige dramatische Wendungen. Viel stärker als im Roman läuft die Geschichte auf die große entscheidende Auseinandersetzung zwischen Gatsby und Tom Buchanan hinaus, sodass mitunter Leerlauf entsteht.
Die Leinwand als Bühne
Dafür zeigt der australische Regisseur mit seinem Film, welches dramatische Potenzial in der 3D-Technik steckt: Seine 3D-Bilder sind oft mehr als bloße Auslöser sensueller Überreizungen und ziehen das Publikum in die Szenen und so auch in die verschiedenen, zuweilen wie Kulissen wirkenden Lebensräume der Protagonisten/innen hinein – das gesellschaftliche Parkett als Bühne der Selbstdarstellung. So gewinnt der Film eine theatralische Dimension hinzu, ohne dabei etwas von seiner cineastischen einzubüßen. Mitunter irrt sich Luhrmann allerdings mit der Tonalität, etwa wenn er das dramatische Potenzial einer Szene durch groteske, ja comichafte Überzeichnung unterwandert. Atmosphärisch macht dieser
farbenprächtige Film dafür fast alles richtig. Kostüm und Ausstattung sind wie in allen Luhrmann-Filmen – man denke an
William Shakespeares Romeo + Julia (William Shakespeare's Romeo + Juliet, USA) oder
Moulin Rouge! (USA, Australien 2001) – eine Augenweide. Und Luhrmanns Idee, den Jazz der 1920er-Jahre etwa durch zeitgemäßen
HipHop und Pop zu ergänzen und somit das Alte mit dem Neuen zu verbinden, funktioniert bestens.
Bilder für ein Lebensgefühl
Baz Luhrmann bleibt also auch in
Der große Gatsby seinem verspielten Inszenierungsstil treu und reizt dessen Möglichkeiten konsequent aus: Irrwitzig schnelle
Kamerafahrten, mal quer über die Bucht hinweg, mal senkrecht an der Fassade eines Wolkenkratzers hinab, und schnelle
Montagefolgen erzeugen einen wohligen Schwindel. Als Zuschauender mag man sich zuweilen fast überwältig von der Flut der Bilder fühlen, doch vermittelt Luhrmann tatsächlich auch etwas von Zeitgeist und Lebensgefühl der Roaring Twenties in den USA. Einer Dekade, die aus heutiger Perspektive in mancherlei Hinsicht aktuell erscheint: war sie doch dominiert von einer entfesselten Börse und einem Glauben an die Macht des Geldes und der Märkte. Die visuelle und auditive Opulenz des Luhrmannschen Erzähl-Universums, jenes permanente Die-Sinne-Überreizen, erscheint in
Der große Gatsby meist als ein passendes inszenatorisches Äquivalent zur Dekadenz der in Fitzgeralds Roman porträtierten Lebenswelt der Superreichen. Dagegen richtete die bislang prominenteste Verfilmung von Jack Clayton aus dem Jahr 1974 (nach einem Drehbuch von Francis Ford Coppola) ihr Augenmerk eher auf Gatsbys Nostalgie und versuchte sich verhaltener an einer Zeitkritik.
Der Amerikanische Traum als Lüge
Jay Gatsby, der es aus eigener Kraft nach oben geschafft hat, ist die Personifizierung des Amerikanischen Traums. Doch Film wie Roman entlarven eben diesen Traum als Lüge und als eine Verheißung, die den, der wie Gatsby an sie glaubt, schlussendlich zerstören wird. Wobei die Titelfigur von Fitzgerald und Luhrmann gebrochen wird: Denn ist Gatsby nicht unter ungeklärten, möglicherweise illegalen Bedingungen zu seinem Vermögen gekommen? Ist sein Lebensstil nicht von purer Maßlosigkeit geprägt? Der soziale Aufsteiger Gatsby ist keineswegs als ausschließlich positiver Gegenentwurf zum alten Geldadel angelegt, der einen Emporkömmling wie Gatsby niemals als Seinesgleichen akzeptieren wird. Doch bei aller Kritik ist Jay Gatsby im Kern ein hoffnungsloser Romantiker, der an seiner alten Liebe festhält und dem Geld immer nur Mittel zum Zweck war, nie Selbstzweck.
Autor/in: Andreas Resch, Filmjournalist und Drehbuchautor, 11.06.2013
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