Im Jahr 1968 brechen der Arzt Mihai, sein rebellischer Bruder Emil und sein kranker Vater William mit einem klapprigen Wagen vom rumänischen Arad in Richtung Dresden auf, wo William eine längst überfällige Operation erwartet. Auf ihrer Reise erleben die Rumäniendeutschen die Auswirkungen des "Prager Frühlings" am eigenen Leib, der die sowjetische Welt in höchste Alarmbereitschaft versetzt. An der ostdeutschen Grenze angekommen, wird das Trio zunächst in einem Auffanglager für Touristen festgesetzt und begegnet dort der idealistischen Ulli. Da der Weg über die Tschechoslowakei nach den Unruhen in Prag versperrt ist, erhalten Mihai und seine Verwandten ein Transitvisum, mit dem sie durch die BRD in ihre Heimat zurückreisen sollen. In München finden sie allerdings erst einmal in Ullis linker Studenten-WG Unterschlupf.
Inspiriert ist das Spielfilmdebüt der in Rumänien geborenen, mittlerweile aber in Deutschland lebenden Regisseurin Anca Miruna Lăzărescu von den Erfahrungen ihres Vaters, der als Jugendlicher eine ähnliche Odyssee wie die Protagonisten erlebte. Angelegt als beschwingtes Roadmovie mit schelmischem Witz und sympathischen Figuren, bindet der Film die politischen Geschehnisse des Jahres 1968 trotz einiger Überzeichnungen geschickt in die Handlung ein und greift dabei immer wieder auf Archivaufnahmen zurück. Am Beispiel von Mihais Familie entwirft die Tragikomödie ein facettenreiches Bild vom Leben im Sozialismus, das zwischen großen Hoffnungen und bitteren Enttäuschungen schwankt. Einerseits lohnt es sich, für Freiheitsbestrebungen zu kämpfen. Andererseits ist das System des Denunzierens weit verbreitet und das Misstrauen riesengroß, wie der Film auch gegen Ende unterstreicht.
Die Reise mit Vater lädt dazu ein, noch tiefer in den sozialistischen Alltag einzutauchen und die Möglichkeiten und Beschränkungen der Menschen genauer in den Blick zu nehmen. Da der "Prager Frühling" eine zentrale Rolle für die Geschichte spielt, lohnt es sich zudem, das Liberalisierungs- und Demokratisierungsprogramm in der damaligen Tschechoslowakei und dessen gewaltsame Unterdrückung im Unterricht zu behandeln. Fragen könnte man in diesem Zusammenhang etwa, welche Personen und Organisationen dabei besonders in Erscheinung traten. Reizvoll wäre angesichts der Herkunft der Figuren und der Regisseurin auch eine eingehende Auseinandersetzung mit der Herrschaft des rumänischen Staatschefs Nicolae Ceauşescu, dessen Reaktionen auf den "Prager Frühling" im Film von den Protagonisten noch gelobt werden, der über die Jahre jedoch eine der grausamsten Ostblock-Diktaturen errichtete. Diskussionspotenzial liefert nicht zuletzt die Haltung der idealistischen Studenten aus Ullis WG, die Lăzărescu als etwas naiv und einseitig entlarvt.

Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Christopher Diekhaus, 25.09.2016, Vision Kino 2016.
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