Mia war schon immer besonders, doch ein neuer Job als Synchronsprecherin einer Anime-Serie erschüttert ihr Weltbild. Die taffe Superheldin Kimiko, wird ihr blitzartig klar, ist niemand anders als sie selbst! Wild entschlossen stürzt sie sich auch jenseits des Studios in ihre Rolle und setzt alles daran, die Welt vor den Angriffen einer dunklen Macht zu bewahren. In einem Second-Hand-Laden findet sie das passende Kostüm und in ihrem lethargischen Nachbarn Kristof ihren Co-Helden. Alle anderen tun sich jedoch schwer, ihr plötzlich erweitertes Bewusstsein – und brandgefährliche Sprünge vom Dach – zu akzeptieren. Es hilft nichts: Kimiko muss das ganze elektrische System lahmlegen, um das Schlimmste zu verhindern.
Schon in ihrem Debüt
Lollipop Monster hat Ziska Riemann ihre ureigene Bildsprache entwickelt: Comicbunte
Neonfarben, eine höchst
bewegliche Kamera und ungewöhnliche Blickwinkel transzendieren die Grenzen von Realität und Traum. Im Alltag ist Mia zunächst eine leicht chaotische junge Frau, die sich als Poetry-Slammerin und Barkeeperin von Job zu Job hangelt. Ein unkluger One-Night-Stand mit dem Chef des Synchronstudios zeigt aber auch, dass sie schnell aufs Ganze geht. Ihre Verwandlung in Kimiko vollzieht sich über im
Anime-Stil gehaltene
Animationssequenzen, die eigens für den Film gezeichnet wurden. Die ungläubige Haltung von Freunden und Bekannten verankert das Geschehen zugleich weiter in der Realität – sie sehen keine kraftstrotzende Manga-Heldin, sondern eine offenbar Verrückte, die mit wilden Kampfgesten und haarsträubenden Verschwörungsthesen nur noch ihrer Einbildung folgt. Hat Mia vielleicht ganz andere Probleme?
Eletric Girl, Trailer (© Farbfilm Verleih)
Dieselbe Frage stellt der Film allerdings dem Publikum. Indem er sich ganz auf die Seite seiner Heldin stellt, testet er die Grenzen unserer Toleranz. Sind wir wirklich so erstarrt, dass uns ein wenig Andersartigkeit herausfordert? Die Möglichkeit einer psychischen Erkrankung Mias wird zwar eingeräumt, auch ein familiäres Drama liefert Indizien. Eigentliches Thema ist jedoch ein gesellschaftliches Konzept von Normalität, das Abweichungen kaum mehr akzeptiert. Neben dem Umgang mit Außenseitern kann im Unterricht auch Mias spezifischer Kampf gegen die elektrischen Mächte erörtert werden – der fatalen Abhängigkeit der "Normalen" vom Internet begegnet sie mit dem spontanen Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Zugleich ist sie als eingebildete Superheldin selbst ein Kind medialer Fantasieproduktion. So kann etwa in den künstlerischen Fächern neben der technisch-ästhetischen Machart des Films auch die kommerzielle und künstlerische Funktion "unsterblicher" Superhelden diskutiert werden, ob in Comic oder Film.

Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Philipp Bühler, 27.06.2019, Vision Kino 2019.
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