Ein kleines Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Die Zeit scheint stehengeblieben, doch tatsächlich hat sich seit dem Mauerfall 1989 alles verändert. Nur mühsam sichern die wenigen Bewohner/innen ihre Existenz als Kleinbauern/innen, Zeitarbeiter/innen oder Handwerker/innen für alles. Lediglich zwei von ihnen arbeiten in der örtlichen Milchviehanlage, dem Nachfolgebetrieb der LPG "Roter Stern". Die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft bot bis zu ihrer Auflösung 1992 allen im Dorf einen verlässlichen Arbeitsplatz. In Interviews wird das Ende der DDR gelegentlich beklagt, ebenso der Wegzug der Jugend, die hier keine Perspektive mehr sieht. Auf dem jährlichen Dorffest oder auf einer Hochzeit wird aber auch ein Gemeinschaftsgefühl erkennbar, das die Verbliebenen trotz aller Schwierigkeiten in der Heimat hält.
Die Dokumentarfilmer Leopold Grün und Dirk Uhlig werfen einen neugierigen Blick auf einen von der Weltgeschichte vergessenen Ort. Als Grundlage des Films dienen unkommentierte Erzählungen der Bewohner/innen. So erinnert sich die Pferdezüchterin Gabi an ihren alkoholkranken Ex-Mann; der Westzuzügler Harry träumt von Reisen ans Nordkap und hat sich mit seiner Arbeitslosigkeit abgefunden. Heitere Momente ergeben sich etwa, wenn Opa Ronald seinen Urenkeln aus der Bild-Zeitung vorliest und die DDR-Zwangskollektivierung bissig kommentiert. Das melancholische Gefühl des Stillstands dokumentiert auch die in der Regel statische Kamera. Ab etwa der Hälfte des Films werden lange Einstellungen im Abendlicht hin und wieder mit
Musik akzentuiert, als Illustration einer manchmal bedrückenden, aber auch friedlichen Ruhe.
Der verwunschene Ort im Nordosten der Republik erhält keinen Namen. Nur einer von vielen, dient er den Filmemachern als Beispiel für die gesellschaftlichen, ökonomischen und strukturellen Folgen des Mauerfalls. Themen wie Auflösung gewohnter Strukturen, Privatisierung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung der Jugend können im Unterricht anhand des Films aufgegriffen und vertieft werden. In den Medien kaum noch Thema, zeigen sich diese Auswirkungen großer Politik hier am einzelnen Menschen. Schülerinnen und Schüler können im Unterricht versuchen, die bruchstückhaften Erzählungen zu einer Geschichte des Ortes zusammenzufassen und mit den Bildern in Einklang zu bringen. Im Geschichts- oder Erdkundeunterricht bietet sich unterstützend eine Erläuterung der agrarpolitischen Strukturen der DDR und deren Neuordnung – beziehungsweise Zerschlagung – nach dem Mauerfall an.
Arbeitsblatt zu Am Ende der Milchstraße
Fächer: Deutsch, Erdkunde, Politik, Sozialkunde ab Klasse 9
Vor der Filmsichtung:
a) Die neuseeländische Autorin Katherine Mansfield (1888-1923) notierte in einem ihrer Briefe: "Nichts kommt dem Landleben gleich. Es vermittelt mehr echte Freuden als irgendeine andere Lebensweise." Erörtert im Plenum, inwieweit ihr dieser Aussage (nicht) zustimmt. Haltet eure wichtigsten Argumente auf einem Plakat fest.
b) Der Dokumentarfilm
Am Ende der Milchstraße stellt den Alltag in Wischershausen dar, einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Tauscht euch im Plenum darüber aus, was ihr mit dem Titel assoziiert und welche filmästhetischen Mittel euch bekannte Dokumentarfilme auszeichnen, beispielsweise
Montage,
Kameraeinstellungen,
Bildkompositionen mit
Talking Heads, Voice-Over.
c) Nennt Berufe, die vorwiegend auf dem Land ausgeübt werden. Nutzt dazu die Methode des
Blitzlichts.
Während der Filmsichtung:
d) Achtet arbeitsteilig darauf, welche der in Aufgabe c) genannten Berufe im Film dargestellt werden und mit welchen in Aufgabe b) genannten filmästhetischen Mitteln die Regisseure Leopold Grün und Dirk Uhlig arbeiten. Welche Wirkung erzielen diese Mittel bei den Zuschauenden? Haltet eure Beobachtungen unmittelbar nach der Filmsichtung stichpunktartig fest.
Nach der Filmsichtung:
e) Vergleicht eure Ergebnisse aus Aufgabe c) und tauscht euch aus, inwieweit eure Vermutungen bezüglich des Filmtitels zutreffend sind.
f) Neben den Aussagen und Handlungen der Protagonistinnen und Protagonisten entfaltet ein Dokumentarfilm seine Wirkung durch die
Mise-en-scène. Dazu gehören beispielsweise die Auswahl der
Drehorte, der
Ton und die Kameraführung. Seht euch die folgenden
Szenen noch einmal an, wählt anschließend eine davon aus und analysiert, inwieweit die filmästhetischen Mittel die Atmosphäre unterstützen. Vergleicht anschließend eure Ergebnisse im Plenum.
g) Präzisiert den Satz aus Aufgabe a) dahingehend, dass ihr den Alltag näher beschreibt: Verfasst eine Synopsis, die mit wenigen Sätzen (alternativ mit einer Log Line) den Inhalt des Films prägnant beschreibt.
Vergleicht den im Film dargestellten Alltag mit euren Assoziationen zum Landleben aus Aufgabe a).
Optional zur dramaturgischen Vertiefung: Analysiert, inwieweit die vier Szenen aus Aufgabe f) noch zur
Exposition gezählt werden können.
h)
Nur ab Klasse 10: Arbeitet den im Film
Am Ende der Milchstraße dargestellten Umbruch im ländlichen Raum heraus. Ist dieser Umbruch typisch für das Gebiet der ehemaligen DDR oder ein gesamtdeutsches Phänomen?
Nutzt für eure Argumentation Szenen aus dem Film (wie beispielsweise 00:38:50-00:40:36) und wissenschaftliche Artikel (beispielsweise
Zerfall der ländlichen Gesllschaft und
Checkpoint bpb )
i) Verfasst eine Filmkritik, in der ihr auf
• Ort, Zeit und Handlung – vgl. Aufgabe g)
• die filmästhetischen Mittel und ihre Wirkung – vgl. Aufgaben e) und f)
•
ab Klasse 10: die Zeit nach der Wende und Veränderungen im ländlichen Raum – vgl. Aufgabe h)
• das Zitat von Katherine Mansfield – vgl. Aufgabe a)
eingeht.
Autor/in: Philipp Bühler (Filmbesprechung vom 21.10.2013), Ronald Ehlert-Klein (Arbeitsblatt), 30.04.2020
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.