September 1939: Tausende von polnischen Bürger/innen sind auf der Flucht, denn im Westen bedrängen die Deutschen, im Osten die Russen das Land. Die Nationalsozialisten schließen die Universität in Krakau und deportieren die Professoren nach Sachsenhausen. Die Rote Armee und der russische Geheimdienst treiben polnische Offiziere zusammen und schicken sie ins Arbeitslager, unter ihnen auch der Offizier Andrzej, der sich noch von seiner Frau Anna verabschieden kann. Sie werden sich nie wiedersehen, denn Andrzej gehört zu den mehr als 22.000 Offizieren und Mitgliedern der polnischen Elite, die im April 1940 von der Roten Armee in den Wäldern von Katyn hingerichtet und in Massengräbern verscharrt wurden. Die russische Propaganda macht fortan die Nationalsozialisten für das Massaker verantwortlich – eine Behauptung, die sich bis zum Fall des Eisernen Vorhangs hielt und auch heute noch für Unklarheiten über den Hergang der Tragödie sorgt.
Der Film des polnischen Regisseur Andrzej Wajda, dessen Vater zu den Opfern von Katyn zählt, behandelt ein nationales Trauma. Wajda erzählt mit viel Mitgefühl, überwiegend aus Sicht der polnischen Frauen, die vergeblich auf die Rückkehr ihrer Männer und Söhne warten. Der Film setzt sich aus einer Vielzahl von Schicksalen zusammen, die Wajda mit reichem Figurenarsenal aufwändig inszeniert und mit Archivbildern kombiniert, die für Authentizität bürgen. Dramaturgisch wirkt der Film angesichts der vielen Personen ein wenig kompliziert, doch folgt der Regisseur stets seinem roten Faden, den Tagebuchaufzeichnungen des Offiziers Andrzej.
Das Massaker von Katyn ist von großer atmosphärischer Dichte und Wirkung. Die beklemmende Stimmung vermittelt sich bildlich in einem Grundton von kalten
Grau-, Blau- und Brauntönen sowie in der düsteren
Filmmusik des polnischen Komponisten Krysztof Penderecki.
Mit seiner menschlichen Sicht auf persönliche Schicksale bietet der Film in der medienpädagogischen Arbeit eine anschauliche Ergänzung zu puren Daten und Fakten. Weil der Holocaust nur peripher zur Sprache kommt, bedarf es allerdings einer fundierten Orientierung über den geschichtlichen Kontext. Ferner eröffnet der Film Diskussionen über Rezeption und Aufarbeitung von Geschichte, auch über die Verdrängung und Verleugnung von Kriegsverbrechen und Faschismus. Der umstrittene radikale Schluss, der die Ermordung der Soldaten dokumentiert, bietet zudem Potenzial für Kontroversen hinsichtlich der ästhetischen Umsetzung und Grundsatzfragen zum Thema Gewalt im Film, die über
Das Massaker in Katyn hinausreichen.
Autor/in: Kirsten Liese, 16.09.2009
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