Doktor Ledgard, eine Koryphäe auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie, hat eine Vision: die Erschaffung einer perfekten künstlichen Haut. In einem einsamen Anwesen treibt er seine Forschungen fieberhaft voran. Unterstützt wird er lediglich von seiner Haushälterin Marilia. Sie versorgt auch die mysteriöse Vera, eine junge Patientin, die streng abgeschottet im ersten Stock der Villa ein einsames Dasein fristet. Als eines Tages Marilias krimineller Sohn Zeca auftaucht und Vera vergewaltigt, bricht die klinisch-saubere Existenz Doktor Ledgards auf: Es zeigt sich, dass der Ehrgeiz des Wissenschaftlers auf düsteren Ereignissen seiner Vergangenheit gründet.
Mit
Die Haut, in der ich wohne überrascht Pedro Almodóvar, der große spanische Kinomelodramatiker, mit einem kühlen raffinierten Thriller. Virtuos entrollt er seinen zwischen verschiedene Zeitebenen springenden Plot in einem sorgsam arrangierten Bilderfluss, der im Zusammenspiel mit der
Filmmusik eine enorme Sogwirkung entfaltet. Während die
Farbgestaltung zurückhaltender wirkt als in seinen grellen Melodramen, springt das extravagante Setdesign ins Auge, welches das im Titel angekündigte Wechselspiel von Oberfläche und Innenleben widerspiegelt. Typisch für Almodóvar ist neben der Lust am provokanten Spiel mit den Geschlechtergrenzen vor allem die Leidenschaft für das Kino: So evoziert der Film immer wieder Vorbilder wie Alfred Hitchcocks
Vertigo – Aus dem Reich der Toten (Vertigo, USA 1958) oder Georges Franjus Horrorklassiker
Augen ohne Gesicht (Les yeux sans visage, Frankreich, Italien 1960) – ohne deshalb an Originalität einzubüßen.
Wie alle Werke Almodóvars handelt auch
Die Haut, in der ich wohne von der unkontrollierbaren Macht des Begehrens. Interessanter für den Unterricht erscheint das Kernthema des Thrillers, nämlich die Bedeutung des äußeren Erscheinungsbildes für unser Selbstverständnis. Dass Almodóvar seinen Film nicht nur als Kommentar zum grassierenden Jugend- und Schönheitswahn versteht, sondern auch als selbstreflexiven kreativen Akt, belegen die Kinozitate ebenso wie die Präsenz von Bildschirmen im Film. Die Arbeit eines Regisseurs, gibt er zu verstehen, ist mit der des plastischen Chirurgen verwandt: Ihre "Schöpfungen" können ein ungewolltes Eigenleben entwickeln und ein unerreichbares Ideal vom (äußerlich) perfekten Menschen prägen. Insofern bietet der Film auch einen interessanten Ausgangspunkt für eine Diskussion über die ethische Verantwortung von Wissenschaftlern/innen und Filmschaffenden.
Autor/in: Jörn Hetebrügge, 17.10.2011
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.