Der Juwelier Thomas Schell fördert die Phantasie seines Sohnes Oskar nach Kräften. Mit diesem Vater wird das Leben in New York zur magischen Schnitzeljagd, jeder Ort birgt sein Geheimnis, nichts ist nur wie es scheint. Als er bei dem Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 ums Leben kommt, wird die Illusion zu Oskars letzter Zuflucht. Er vernichtet den Anrufbeantworter, auf dem sich die letzten Nachrichten des Vaters befinden, kappt auch den Kontakt zur Mutter. Ein in den alten Sachen des Toten gefundener Schlüssel wird schließlich zum Rettungsanker: Handelt es sich um einen letzen Hinweis des verspielten Vaters, den Schlüssel zum Geheimnis seines Lebens? Mit explosiver Kreativität macht sich Oskar auf die Suche nach dem passenden Schloss – ein verzweifelter Versuch, dem traumatischen Verlust doch noch einen Sinn zu geben.
Die Verfilmung eines Romans von Jonathan Safran Foer erzählt von den Folgen des 11. September anhand eines Einzelschicksals und steht ganz im Zeichen der Trauer. Dabei wird weniger die sichtbare Realität als die erschütterte Gedankenwelt der kindlichen Hauptfigur auf die Leinwand gebannt. Verschachtelte
Rückblenden, aufwändige
Montagen und eine sehr emotionale
Musikbegleitung dienen als künstlerische Mittel der Identifikation. Sie wird verstärkt durch Oskars Voice-Over, in der er nicht nur von seiner Suche berichtet, sondern nach einigem Zögern auch seinen "schlimmsten Tag" Minute für Minute, Schritt für Schritt rekonstruiert. Demselben Zweck dient ein kunstvoll gestaltetes Logbuch, in dem er etwa den Sturz des Vaters aus den Twin Towers in Form eines Daumenkinos verarbeitet.
Man kann Regisseur Stephen Daldry den Vorwurf nicht ersparen, der Tragödie mit allzu großer ästhetischer Verspieltheit beikommen zu wollen. Der Einsatz der filmischen Mittel und ihre Wirkung können entsprechend kritisch im Unterricht thematisiert werden. Das Auftauchen von Oskars zuvor unbekanntem Großvater, der als Überlebender der Luftangriffe auf Dresden 1945 selbst traumatisiert ist, bringt allerdings etwas Ruhe in Oskars hektische Sinnsuche. Gerade in den berührenden Szenen zwischen dem alten Mann und dem Kind bietet der Film pädagogische Anknüpfungspunkte für eine Auseinandersetzung mit der Katastrophe von 2001 und den Folgen traumatischer Ereignisse: Im Gespräch über Verlust und Trauer können die Generationen voneinander lernen. Neben solch komplexen psychologischen Themen erlaubt das Drama auch einen Verweis auf die deutsche Literaturgeschichte, ist die kraftvoll und überzeugend gespielte Hauptfigur doch ein geistiger Verwandter des kleinen Oskar Matzerath aus Günter Grass’ Roman
Die Blechtrommel.
Autor/in: Philipp Bühler, 13.02.2012
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.