Ganz oben auf dem Siegertreppchen stehen, davon träumen die fünf Leichtathleten/innen, die im Mittelpunkt der Dokumentation
Herbstgold stehen. Sie sind Hochspringer oder Kugelstoßerin, 100-Meter-Sprinter oder Diskuswerferin und – sie sind zwischen 82 und 100 Jahre alt.
Herbstgold folgt ihnen, die zum Teil schon bei den Olympischen Spielen 1936 an den Start gegangen sind, zu der Senioren-Weltmeisterschaft im finnischen Lahti im Jahr 2009. Der Film zeigt sie beim Training und bei Wettkämpfen, aber auch in ihren Alltag. Er porträtiert Menschen, die lange schon im Rentenalter sind, und nichts verloren haben von ihrem Ehrgeiz, nur manchmal ein wenig von ihrer Lebensfreude. Statt in die Vergangenheit blicken sie in die Zukunft.
Regisseur Jan Tenhaven hat das Vertrauen seiner in Ehren ergrauten Protagonisten/innen erworben. So sitzt er nun beim tschechischen Hochspringer in der Küche, während dessen Frau angesichts der "Unvernunft" ihres Ehemanns den Kopf schüttelt. Wenn der Schweiß im Training fließt und die Enttäuschung auf den Gesichtern steht, weil der alternde Körper die Strapazen nicht mehr mitmachen will, dann rückt Tenhaven seinen Akteuren/innen im wahrsten Sinne des Wortes mit den modernsten Mitteln der Sport-Übertragungstechnik auf den Leib: von der auf Emotionalität ausgerichteten
Montage bis hin zur Extrem-
Zeitlupe. Für die Grundstruktur des Films bedient er sich beim klassischen Muster des Sportfilms und führt die Helden/innen von der Vorbereitung über die Enttäuschung zum abschließenden Triumph. Das birgt so viel Tragik wie Komik, aber niemals führt Tenhaven die Senioren/innen vor.
Herbstgold zeigt den Kampf gegen das Älterwerden. Menschen, die von einer Gesellschaft, deren Fetisch die Jugendlichkeit ist, gewöhnlich ignoriert werden, finden im Sport nicht nur einen Lebensinhalt, sondern auch Bestätigung und Anerkennung. Der Kampf gegen die Stoppuhr ist auch einer gegen die gesellschaftliche Marginalisierung. Für den Einsatz des Films im Unterricht empfiehlt es sich, im Vorfeld zu diskutieren, was die Schüler/innen mit Themen wie "Altern" und "Alt-Sein" verbinden und wie sie die Lebenssituation von alten Menschen wahrnehmen. Nach der Sichtung des Films können die zuvor gestellten Überlegungen hinterfragt werden, auch in Hinblick darauf, inwiefern dieser Sportfilm etwas über den Wandel moderner Gesellschaften erzählt. Eine zusätzliche psychologische Dimension eröffnet die einfühlsame Darstellung des Dramas, dem eigenen Körper nicht mehr vertrauen zu können. Der Sport mit seinen Siegen und Niederlagen wird zur Metapher für das Leben selbst.
Autor/in: Thomas Winkler, 06.07.2010
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.