Anfang der 1960er-Jahre lernt der Germanistikstudent Bernward Vesper seine Kommilitonin Gudrun Ensslin kennen. Die beiden werden ein Paar, gründen einen Verlag und beginnen damit, die Werke von Bernwards Vater, dem nationalsozialistischen Schriftsteller Will Vesper, wieder aufzulegen. Gleichzeitig engagieren sie sich in der außerparlamentarischen Opposition, wobei Gudrun bald deutlich extremere Positionen bezieht. Schließlich verlässt sie Bernward und ihr gemeinsames Kind, weil sie sich in Andreas Baader verliebt hat. Sie will mit Baader für einen anderen Staat kämpfen.
Der
Dokumentarfilmer Andres Veiel legt mit
Wer wenn nicht wir seinen ersten Spielfilm und nach
Black Box BRD (Deutschland 2001) seinen zweiten Beitrag zur Aufarbeitung der RAF-Geschichte vor. Dieses Mal geht es ihm um die "Fundamente" des deutschen Terrorismus: die schmerzliche Auseinandersetzung mit den in die NS-Verbrechen verstrickten Eltern, die Empörung über den Vietnamkrieg, die Aufkündigung traditioneller Geschlechterrollen und Familienverhältnisse. Dabei greift Veiel auf ihm vertraute Stilmittel des
Dokumentarfilms zurück: Mit historischem Filmmaterial markiert er Sprünge in der erzählten Zeit,
Kameraführung und
Bildkomposition bleiben bewusst unauffällig, um die Konzentration auf die Figuren und ihre Beweggründe nicht zu stören.
Auf der diesjährigen Berlinale hat Veiel seinen Film als Gegenentwurf zu den spektakulären RAF-Filmen der jüngeren Vergangenheit, wie Christopher Roths
Baader (Deutschland 2002) und Uli Edels
Der Baader Meinhof Komplex (Deutschland 2008), vorgestellt. Indem er sich auf die Vorgeschichte des deutschen Terrorismus konzentriert, weckt er tatsächlich ein tiefer gehendes Interesse an den Empfindungen und Auseinandersetzungen der 68er-Generation. Hier ließe sich ansetzen, um etwa die Vergangenheitsbewältigung im Nachkriegsdeutschland, den Umgang mit der Schuld der Eltern und den militanten Bruch der 68er mit der älteren Generation zu thematisieren. Für den Deutschunterricht lohnt sich in dieser Hinsicht vor allem ein Abgleich des Films mit seinen maßgeblichen Quellen: Gerd Koenens Sachbuch
Vesper, Ensslin, Baader – Urszenen des deutschen Terrorismus (2005) und Bernward Vespers unvollendet gebliebener autobiografischer Roman
Die Reise (1977).
Autor/in: Michael Kohler, 08.03.2011
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