34. Internationale Hofer Filmtage 2000
Secret Society
Eine Chance für den (deutschen) Filmnachwuchs boten die Hofer Filmtage unter Festivalchef Heinz Badewitz schon immer. Schon lange nicht mehr war aber die Qualität des Programms so gut, wie diesmal . Viele der präsentierten Filme sind speziell für die große Leinwand gemacht worden und nicht mehr in erster Linie oder gar ausschließlich für das Fernsehen. Offenbar sind die Verleiher auch wieder bereit, deutschen Jungfilmern zu vertrauen. Zum anderen zeigte sich bei den ausgewählten Stoffen ein sehr breitgefächertes Themenspektrum, oft dicht dran an sozialer Realität wie an den Bedürfnissen des Publikums nach Unterhaltung. Und die starke Präsenz von Jungfilmerinnen tat sicher ein Übriges, um neue Themen und andere Sichtweisen filmisch zu erschließen.
Sumoringer(innen)
Dicke Menschen sind im Film rar als Hauptfiguren, vor allem wenn es um Frauen geht, die dem gängigen Schönheitsideal des Hollywoodfilms zwar nicht entsprechen, aber als positive Figuren gezeichnet sind. In Hof liefen gleich zwei Filme, in denen durch ihre Körperfülle zu Außenseitern gewordene Menschen im Mittelpunkt stehen. Und beide Mal finden sie durch die japanische Sportart des Sumo-Kampfes zu neuem Selbstwertgefühl. Dabei läuft die englisch-deutsche Koproduktion
Secret Society von Imogen Kimmel dem eher in konventioneller Dramaturgie gehaltenen Eröffnungsfilm des Festivals
Sumo Bruno von Lenard Fritz Krahwinkel eindeutig den Rang ab. Nicht nur, weil in Kimmels Film Frauen diese bisher Männern vorbehaltene Sportart ausführen und die Regisseurin dem Geschlechterkampf ganz neue Facetten abgewinnt. Ihr Film im Stil britischer Arbeiterkomödien ist auch pointierter, unterhaltsamer und witziger, beispielsweise wenn der arbeitslose Ehemann der Protagonistin über das befremdlich wirkende und ihm verheimlichte Treiben seiner Frau plötzlich Angst bekommt, sie könnte von Außerirdischen "besessen" sein.
Gleichberechtigung im Ring
Frauen holen auch beim Boxsport gewaltig auf. In Karyn Kusamas
Girlfight erkämpft sich eine willensstarke Jugendliche aus der New Yorker Unterschicht ihr Ansehen und ihren Wert buchstäblich mit den Fäusten. Die zunächst als Schlägerin verrufene Schülerin ohne Perspektiven nimmt gegen den Widerstand ihres Vaters Boxunterricht und tritt mangels weiblicher Konkurrenz gegen ihre männlichen Kollegen an. Sie besiegt diese der Reihe nach, doch dann muss sie bei einem Wettkampf gegen ihren Freund antreten, was die Beziehung auf eine harte Probe stellt. Gleichberechtigung im beruflichen wie im privaten Bereich beim Wort genommen. Ein fesselnder Film mit einer beeindruckenden Hauptdarstellerin, der alte und neue Rollenklischees und Vorstellungen über den wirklichen Unterschied der Geschlechter schonungslos in Frage stellt.
Schule
Eine andere Männerfreundschaft
Männerfreundschaften durchziehen die gesamte Filmgeschichte, sind auch ohne homoerotische Komponente zum festen Bestandteil ganzer Genres, wie dem Western, dem Kriegsfilm oder dem Buddy-Film geworden. Wie man die Geschichte zweier Männer, die gemeinsam durch Dick und Dünn gehen, auch anders erzählen kann, zeigt Birgit Müller in
Der Himmel kann warten. Alex und Paul sind seit ihrer Kindheit befreundet, obwohl sie vollkommen gegensätzlich sind. Aber sie haben ein gemeinsames Ziel, sie wollen als Komiker bei einem Talentwettbewerb gewinnen, der ihnen den großen Durchbruch bescheren könnte. Als der behinderte Alex jedoch erfährt, dass er unheilbar an Krebs erkrankt ist, versucht er Paul einen letzten Dienst zu erweisen, damit wenigstens dieser als Gewinner ins Ziel geht. Ein überwiegend dicht erzählter, anrührender Film über echte Gefühle, in dem Komik nicht mit Klamauk verwechselt wird, obwohl selbst Kalauer noch ihren Platz haben.
Alaska.de
Jugendwelten – heute und damals
Ungewöhnlich viele der in Hof gezeigten Filme erzählten Geschichten über Jugendliche, meist auch aus deren Perspektive. Die große Bandbreite reichte dabei von dem bereits in Venedig präsentierten "Terroristendrama"
Die innere Sicherheit von Christian Petzold – in dem nicht die im Untergrund lebenden Eltern im Mittelpunkt stehen, sondern deren 15-jährige Tochter und ihre Erfahrungen mit der ersten Liebe – über Jobst Oetzmanns bis ins Absurde getriebenes Provinzdrama
Die Einsamkeit der Krokodile – ein Außenseiter begeht darin nach einer verlorenen Kindheit Selbstmord – bis hin zu Marco Petrys
Schule, der in seiner zunächst deftig-respektlosen Typisierung von Schülern und Lehrern ein klares Zielpublikum hat. Mit expressiven, unruhigen Bildern und kalten, bis ins Monochrome reduzierten Farben erzählt Ester Gronenborn in
Alaska.de vom tristen Alltag in einer ostdeutschen Plattenbausiedlung, von einer aus nichtigem Anlass erfolgenden Gewalteskalation bis zum Mord und von einer neu hinzugezogenen Schülerin, die sich in dieser trostlosen Umgebung behaupten muss. In seiner Form beeindruckend ist der Film allerdings eine Spur zu plakativ-pessimistisch und damit etwas unpersönlich geraten. – Entgegengesetzte Schwerpunkte setzte Ulla Wagner in
Anna Wunder, der nicht in der Gegenwart, sondern in den frühen 60er Jahren zu Beginn des Wirtschaftswunders spielt. Die 11-jährige Anna lebt mit ihrem kleinen Bruder und ihrer hochverschuldeten, alkoholkranken Mutter in einem Dorf. Nach dem Selbstmord der Mutter macht sich Anna auf die Suche nach dem in Frankreich verschollenen Vater. Die stimmig erzählte Geschichte ist formal zwar wenig aufregend, überzeugt jedoch durch die starke Leinwandpräsenz seiner kleinen Hauptdarstellerin.
Gelobtes Land
Väter und Söhne
Mit deutscher Geschichte auf unmittelbar politische Weise setzt sich der schwedische Dokumentarfilmer Fredrik von Krusenstjerna in
Lost Sons auseinander. Auf der Suche nach einer Erklärung, warum Deutsche offenbar wieder anfällig für neonazistisches Gedankengut sind, stößt er auf Ingo Hasselbach, dem einstigen Kopf der Westberliner Neonazis, der vor sechs Jahren aus der Szene ausstieg. Spiegelbildlich zu seiner Biografie verlief die seines Vaters Hans Canjé, der bei der Hitlerjugend war. Doch dann wandelte er sich zum überzeugten Kommunisten, der nach seiner Übersiedelung in die DDR so rechtschaffen und unbeirrbar für seine Ideale lebte, dass für den nach Orientierung suchenden Sohn kein Platz mehr war. Ein Film, der viele Fragen aufwirft, aber den als beispielhaft betrachteten Vater-Sohn-Konflikt aus Respekt vor seinen Personen nicht immer tief genug ausloten kann.
Abgeschoben und verdrängt
Nicht minder politisch schließlich zwei Filme von österreichischen Filmemachern, die sich engagiert und parteiisch mit Fremdenfeindlichkeit, Fluchthilfe und gängiger Abschiebepraxis auseinandersetzen: Houchang Allahyari nähert sich in Geboren in Absurdistan dem brisanten Thema mit absurder Situationskomik und in schicksalhaften Begegnungen und hat damit im österreichischen Kino schon großen Erfolg gehabt. Zwei nach der Geburt vertauschte Babys sollen wieder zu ihren richtigen Eltern, wobei ein Baby mit den türkischen Eltern in deren Heimatland abgeschoben wurde. Das Dilemma scheint nur noch auf politischer Ebene lösbar, denn die Kinder haben sich längst an ihre "falschen" Eltern gewöhnt und auch in der Türkei hat man so seine Vorbehalte gegenüber "Ausländern". – Peter Patzak wählte in seinem für den Bayerischen Rundfunk produzierten Film Gelobtes Land die Form eines Krimis mit afrikanisch-mythischem Einschlag. Zwei sich zunächst unsympathische Kriminalbeamte, ein Einzelgänger und eine mit einem Türken verheiratete Frau und Mutter, haben ihren ersten gemeinsamen Fall zu lösen: Sie suchen einen verschwundenen Schlepper, der zwei afrikanische Mädchen illegal nach Deutschland brachte. Schade nur, dass der Film formal nicht über das Niveau eines Fernsehkrimis hinauskommt, denn inhaltlich setzt er sich vehement für die unbedingte Würde des Menschen ein und zeigt auch die Menschenverachtung, die manchmal hinter der legalen Abschiebepraxis zum Vorschein kommt.
Autor/in: Holger Twele, 21.09.2006