Das Interview führte Margret Köhler.
Warum im Jahr 2003 ein Film über Martin Luther?
Er ist Teil einer der außergewöhnlichsten Geschichten der Menschheit und diese wurde lange nicht mehr erzählt. Es gab keinen religiösen Hintergrund, wir wollten einfach wieder an diesen Mann erinnern und filmisch seiner Entwicklung folgen – nicht nur als Vater des Protestantismus, sondern auch als Mensch mit Stärken und Schwächen. Seine Lehren gelten noch heute, auch von seiner Demut können wir heute noch lernen. Deshalb brauchen wir die Erinnerung. Ich fand das Unwissen über Martin Luther erschreckend. In den USA fragte man mich, warum ich einen Film über Martin Luther King mit einem weißen Schauspieler besetzen würde. Mit dieser Geschichtslosigkeit hatte ich nicht gerechnet.
Kann das Wissen über die Vergangenheit die Gegenwart positiv verändern?
Das ist unsere Chance. Wir müssen die Vergangenheit beobachten und von ihr lernen. Es geht nicht nur darum, die Fehler von damals zu sehen, sondern sie auch mit den Fehlern der Gegenwart zu vergleichen. Die Zeit war zwar eine andere, aber die Beziehungen der Menschen untereinander haben sich nicht sehr geändert.
Was ist das Moderne an dieser Figur?
Martin Luther zeichnete sich durch eine große Fähigkeit zur Kommunikation aus. Die haben wir leider verloren, obgleich wir im so genannten Medienzeitalter leben. Rund um die Uhr berieseln uns TV-Stationen größtenteils mit Schwachsinn, der Beginn einer globalen Verblödung. Es herrscht eine Form der Kommunikation, die wir nicht benötigen. Die Welt ist klein geworden, aber der Mensch entfernt sich immer mehr vom anderen und auch von sich selbst. Die politisch Verantwortlichen denken nicht an das Volk, sondern an ihre "Pöstchen" und die nächste Wahl. Luther steht für einen verantwortungsvoll handelnden Menschen, der nicht lügt; er übt in diesem Sinn eine Vorbildfunktion aus.
Was beeindruckt Sie persönlich an Luther?
Der Anschlag seiner 95 Thesen zählt für mich zu den größten Ereignissen in der menschlichen Geschichte. Sein Engagement und seine Hartnäckigkeit beeindrucken mich, ich bewundere sein Durchhaltevermögen und seinen unerschütterlichen Glauben. Bei den Recherchen habe ich viel über diesen Mann erfahren, den wir uns als Beispiel nehmen sollten. Er stand zu dem, was er tat und weigerte sich, auf Druck seiner Überzeugung abzuschwören. So ein ausgeprägter Charakter mit Rückgrat fehlt uns heute, ein Politiker seines Kalibers würde unsere Gesellschaft in den wirklichen Fortschritt leiten.
Haben Sie den schnellen Schnitt gewählt, um ein jugendliches Publikum anzuziehen?
Diese Form des Schnitts geschah in Absprache mit Verleihern und Kinobesitzern. Der Film richtet sich an ein modernes Publikum, das ist diese Schnittfolgen gewöhnt. Die Testscreenings waren ermutigend.
War Luther revolutionär oder naiv?
Ich glaube beides. Am Anfang war er sich sicherlich nicht der Bedeutung seines Tuns bewusst. Er wollte Rom nicht provozieren, sondern auf Missstände hinweisen. Als er dann auf Abwehr stieß und der Bauernaufstand niedergemetzelt wurde, da begriff er wahrscheinlich erst die Tragweite seines Handelns.
Warum die fiktionalen Szenen?
Primär, um den menschlichen Aspekt hervorzuheben. Wenn er mit Hanna und ihrer behinderten Tochter spricht und sich um ihr Wohlergehen kümmert, zeugt das von einer Nähe zum Volk. Ich wollte ihn nicht nur als Lehrer und Reformator zeigen. Die fiktionalen Szenen dienten auch der Dramatisierung.
Wie stehen Sie zu dem Argument, Luther sei ein katholischer Film über einen Protestanten?
Das gefällt mir sehr gut, ein interessanter Aspekt. Die Intoleranz der katholischen Kirche damals war erschreckend. Es wäre einfach gewesen, einen Rundumschlag gegen sie zu machen. Aber das wollte ich nicht. Es lag uns daran, eine Balance zu finden.
Szene aus dem Film "Luther"
Könnte Ihr Film Katholiken und Protestanten im Sinne der Ökumene zusammenführen?
Wir sollten die Kraft eines Films nicht überschätzen. Ich hoffe, dass er vielleicht einige Leuten in beiden Kirchen auf frische Ideen bringt. Aber kein Film ist so machtvoll, die Gesellschaft oder gar kirchliche Strukturen zu verändern. Film wirkt auf Individuen, nicht auf Institutionen – was nicht ausschließt, dass diese Individuen ihre Denkweise in Institutionen einbringen können.