Christian Petzolds "Transit" ist ein Film über die Hafenstadt Marseille (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set), in der sich Geschichten, Zeiten und Fluchtrouten überlagern. Er basiert auf Anna Seghers' gleichnamigem, autobiografisch beeinflusstem Exilroman (Glossar: Zum Inhalt: Adaption), der auf dem Fluchtweg der Autorin von Marseille nach Amerika entstand und kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht wurde. Um eine zeitlose Variante der Exilgeschichte zu erzählen, nutzt Petzold einen einfachen wie wirkungsvollen Kunstgriff: Sein Film spielt nicht in einer historisierenden Kulisse der 1940er-Jahre, sondern im Marseille der Jetztzeit mit Hochhäusern, Containerkränen und Graffiti. Die Zum Inhalt: Lichtgestaltung von Petzolds langjährigem Kameramann Hans Fromm verstärkt einen realitätsnahen Eindruck: Im Zum Inhalt: Cinemascope-Format zeigt seine Kamera brillante Bilder von sonnendurchfluteten Schauplätzen und vergegenwärtigt so die Figuren und ihre Geschichten. Auch die Kleidung (Glossar: Zum Inhalt: Kostüm/Kostümbild) eines schwer bewaffneten Einsatzkommandos mit seinen schusssicheren schwarzen Westen rückt das Geschehen in einen gegenwärtigen Kontext. Andere Zum Inhalt: Requisiten und Kostüme hingegen verweisen auf die Vergangenheit: Auf Reisepässen steht "Deutsches Reich", Briefe sind in Sütterlin geschrieben, und auch die zeitlos klassische Kleidung der Flüchtenden erinnert eher an einen Stil der 1940er. Durch die souverän gesetzten Anachronismen und die Verschränkung der Zeitebenen erzeugt Petzold einen vieldeutigen Nachhall seiner Geschichten in die Gegenwart.

Transit, Filmszene (© Piffl Medien)

Fluchterfahrungen – ein ewiges Warten und Hoffen

Die Menschen, denen sich der Film nähert, verharren alle im Wartestand. Sie alle möchten aus Marseille fliehen, warten auf ein Visum, ein Transitpapier für ihre Durchreiseländer, ein Ticket für das nächste Schiff. Dem Film geht es weniger darum, politische, ideologische oder religiöse Beweggründe der Flucht freizulegen, und der Regisseur verzichtet damit darauf, das Thema Flucht und Exil anhand von Einzelschicksalen historisch einzuordnen oder plastisch zu erzählen. Vielmehr beschreibt er eine diffuse krisenhafte Exilerfahrung, wie die Flüchtenden gedrängt auf Ämtern ausharren und mit Papieren in der Hand in langen Schlangen von chaotisch-kafkaesken Botschaften stehen. Dorthin hat es auch Georg auf der Flucht vor den deutschen Truppen verschlagen. Bei sich trägt er die Papiere eines Toten, ein unvollendetes Romanmanuskript und Dokumente des Schriftstellers Weidel, der sich in seinem Pariser Hotelzimmer aus Angst vor den faschistischen Verfolgern und aus Enttäuschung über die Trennung seiner Frau das Leben nahm.

Durch eine konsularische Verwechslung ergibt sich für Georg die Möglichkeit, Weidels Identität anzunehmen und mit einem Visum nach Mexiko zu reisen. In Marseille lernt er Marie kennen, in die er sich verliebt und von der er bald ahnt, dass sie die Frau des toten Autors ist. Marie, die Weidel verlassen hat, lebt mit einem Kinderarzt zusammen und sucht doch ihren verschollenen Mann. Als Georg Kontakt zu der Frau und dem kleinen Sohn eines auf der Flucht verstorbenen Freundes aufnimmt, stellt sich heraus, dass die Mutter aus dem Maghreb stammt und ihrerseits illegal in Marseille wohnt. Petzold verschränkt erneut die Zeitebenen und bindet die Lage gegenwärtiger Geflüchteter in seine Handlung ein.

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Das Vexierspiel mit der Zeit, oder besser mit den Zeiten, wird durch ein nicht gleich zu Beginn des Films einsetzendes Zum Inhalt: Voice-Over zusätzlich forciert. Die Stimme des Erzählers bricht mit der unmittelbaren Erzählgegenwart und entrückt diese in ein episches Präteritum. Zunächst bleibt unklar, wen man da hört, ob die Stimme einem allwissenden Erzähler oder einer Figur innerhalb der Handlung gehört. In Seghers' auf eigenen Exilerfahrungen basierendem Roman ist Georg der Ich-Erzähler. Petzold verschiebt die Perspektive nochmals und lässt die Geschichte in der dritten Person erzählen, als Voice-Over vom Besitzer eines Bistros. Mal gibt seine Erzählerstimme den Figuren Halt, mal hält er sie auf Distanz. Besonders traumartig sind jene Szenen, in denen der poetisierende Off-Kommentar Textpassagen aus Seghers' Roman vorliest, die etwas völlig anderes beschreiben, als der Film zeigt: Das Stimme sagt, Marie habe Georg noch einen Blick zugeworfen. Doch die Bilder zeigen: Marie geht, ohne sich umzudrehen.

Transit, Filmszene (© Piffl Medien)

Abstraktes Melodram mit vielfältigen Verweisen

Indem Petzold den transitorischen Fluchtzustand mit der Hoffnung auf die Passage in ein neues Leben und mit einer lyrischen Liebesgeschichte verbindet, kann sein klug gebauter Film auch als abstraktes Zum Inhalt: Melodram funktionieren. Zweifelsohne enthält "Transit" viele melodramatische Zum Inhalt: Genre-Merkmale: ein unerfülltes Begehren, das sich auf schwer erreichbare Ziele und Objekte richtet, innere, kaum lösbare Konflikte mit einer gesellschaftspolitischen und amourösen Situation und eine Struktur der Unverfügbarkeit, der Verspätung und Verfehlung. Immer wieder geht es im Film um Figuren, die zu spät kommen, sich verpassen und verfehlen, die nicht zueinander finden und sich weder von einer alten Liebe lösen noch auf eine neue einlassen können. Doch "Transit" ist vieles: nicht nur eine seltsam vertrackte Liebesgeschichte, sondern auch eine Literaturverfilmung, ein Exildrama, eine Gespenstergeschichte, eine Dystopie und ein abstraktes Erzählexperiment. Gerade in seiner Asynchronität – zwischen Ton- und Bildspur, zwischen dem Roman und seiner Verfilmung – erreicht "Transit" andere Schichten des Wahrnehmens. In den Lücken und Leerstellen der Repräsentation bringt Petzold Spuren von historischen und aktuellen Ereignissen zum Scheinen.

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