Kinofilmgeschichte
Die große Illusion - Kino und Computer
Als erster hatte der amerikanische Science-Fiction-Autor Daniel F. Galouye die Idee. In seinem Roman "Simulacron 3" aus dem Jahr 1964 bemerkt ein Mann, dass er nichts anderes sei als Teil eines übergeordneten Computerprogramms und die Welt um ihn herum nur eine elektronische Simulation. Damals waren Computer noch klobige Rechenmaschinen, hauptsächlich auf der Basis von Lochkarten. Von virtuellen Welten sprach man ebenso wenig wie vom Cyberspace. Dieser Begriff wurde erst 20 Jahre später von einem anderen SF-Autor erfunden. William Gibson prägte ihn für den Roman "Neuromancer".
The Thirteenth Floor
Die Welt am Draht
Die Fantasie war der Entwicklung der Wirklichkeit weit voraus. Und auch die filmische Visualisierung der Fantasie geschah lange, bevor der PC die Schreibtische eroberte. Unter dem deutschen Titel Welt am Draht setzte Rainer Werner Fassbinder Galouyes Buch 1973 in ein zweiteiliges Fernsehspiel um. Den Eindruck der Virtualität stellte er ganz einfach mit vielen Spiegeln her. Erst als Josef Rusnak dieselbe Vorlage 1999 unter dem Titel The Thirteenth Floor – Bist du was du denkst? für das Kino adaptierte, wurden Filmkulissen aus dem Computer eingespielt. Die Entwicklung der Wirklichkeit hatte die Fantasie eingeholt. Die mediale Welt existiert zum großen Teil nur noch als digitale Illusion.
Zweckehe Kino und Computer
Illusionsmaschine war das Kino schon immer. Und um seine Illusionen zu perfektionieren, hat es sich auf jede neue Technik gestürzt wie ein Vampir aufs Blut. Deswegen ist es mit dem Computer eine Zweckver
Terminator II
Wird der Mensch überflüssig?
Das war der Anfang. Inzwischen ist mit
Final Fantasy der erste vollständig im Computer erzeugte Spielfilm auf die Leinwand gekommen. Damit sind über die Kombination von Realfilm und Computermodellen in Steven Spielbergs
Jurassic Park (1993) und die ersten Demonstrationen der Verwandlungsillusion durch Computer-Morphing in Michael Camerons
Terminator 2 (1991) gewaltige Sprünge im technischen Fortschritt gemacht worden. Dennoch erscheint die Diskussion darüber, ob man in der Kinozukunft überhaupt noch Studios und Schauspieler brauchen werde, wo doch alles im Computer machbar sei, genauso grotesk, als hätte man nach den ersten Zeichentrickfilmen das Ende des Menschenkinos beschworen. Die Künstlichkeit des Animationsfilms zeichnet das Computerkino bis heute ohnehin aus.
Im Mediennetz gefangen
Andererseits gilt dem Publikum Computeranimation derzeit als Qualität. Die Gier auf die Geisterbahn der digitalen Spezialeffekte ist groß, auch wenn mit denen bisher kaum andere Illusionen erzeugt wurden als früher mit Modellen und technischen Tricks. Wenn schon die Liebesgeschichte in
Pearl Harbor unsäglich ist, will man sich wenigstens am surrealen Glanz der Luftattacke aus dem Rechner erfreuen. Die "Postproduktion" solcher Effekte ist daher heute zur Entstehung eines Films beinahe genauso wichtig wie die Produktion der Bilder in der Kamera selbst. Und die Vermarktung filmischer Effekte im Computerspiel oder umgekehrt (siehe
Tomb Raider) gehört zum wirtschaftlichen und kulturellen Mediennetzwerk, das den Zuschauer/Fan als Kunden längst lückenlos eingesponnen hat.
Die Landschaft der Schaltkreise
Die Filmemacher scheinen diese Anfälligkeit ihrer Kundschaft geahnt zu haben. Schon der erste Film, der nach Fassbinder den Computer zum Stoff nahm und gleichzeitig auf seine Technik zurückgriff, hatte die Produktion von Videospielen zum Thema und gestaltete seine Handlung entlang dem Spieleschema. Es war Tron von Steven Lisberger aus dem Jahr 1982. Einen Mann verschlägt es in die Landschaft der Schaltkreise, wo er von Spielfiguren attackiert wird. Die Spielsucht, die zum Wirklichkeitsverlust führt, griff David Cronenberg im selben Jahr in Videodrom wesentlich medienkritischer auf. 1998 hat Cronenberg diesen Ansatz in eXistenZ nochmals sehr verschärft. Diesmal hat er das philosophische Thema näher betrachtet, das seit "Simulacron 3" die Diskussion über Rechnersimulationen und Spielewelten maßgeblich beherrscht: Was ist Wirklichkeit? Gibt es eine Wirklichkeit? Oder ist das, was wir als Wirklichkeit empfinden, Teil eines größeren Spiels?
Der Rasenmähermann
Verrat an die Ökonomie
Matrix, der berühmte Film der Wachowski-Brüder, hat sogar namhafte Philosophen wie Peter Sloterdijk oder Slavoj Zizek zu Stellungnahmen inspiriert. Auch Matrix handelt von der großen Illusion der Realität aus dem Computer: Die Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts als Gaukelspiel vampirischer Maschinen, die Menschen als Batterien benutzen. Der Film ist zwar gut inszeniert, intellektuell wird er aber hoffnungslos überschätzt. Denn er wurde selbst der unerbittlichen Matrix des Hollywoodgeschäfts unterworfen, die jeden philosophischen Ansatz in die Mechanismen des geschäftsträchtigen Action-Genres zwingt. So sind für das große Publikum nicht Realitätsreflexionen wichtig, sondern die Computertricks der Kampfsequenzen. Aus ökonomischen Gründen muss sich die Philosophie an die Technik verraten.
23 - Nichts ist so wie es scheint
Mythen digital
Schon 1991 hatte Brett Leonards Film Der Rasenmähermann von den Allmachtsfantasien gehandelt, die tatsächlich viele Menschen mit dem Computer verbinden: werden wie Gott durch die Technik. Leonard hatte gezeigt, dass das nur zum Wahnsinn führen kann. Realistischer hat Hans-Christian Schmid 1997 in 23 – Nichts ist wie es scheint die Wahnvorstellungen eines Computerhackers verfolgt. Aber auch bei ihm klang das Motiv des biblischen Sündenfalls an. Mit dem Computer und über den Computer werden hauptsächlich uralte Mythen in neuer Verpackung erzählt. Mythos digital. So hält das geistige Beharrungsvermögen der Menschheit noch die scheinbar revolutionärste Technik im Zügel. Bis wir womöglich aufwachen aus dem Simulacron Gottes.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 21.09.2006