Jule und Jan lernen sich an einer Tankstelle kurz hinter Berlin kennen, wo der Politikstudent eine Mitfahrgelegenheit sucht. Er will in Nordspanien seinen leiblichen Vater finden. Jule, die gerade ihre Biochemie-Prüfung verhauen hat, ist in ihrem alten Wohnmobil unterwegs und nimmt ihn mit. Auch sie will in den Süden, nach Portugal zu ihrem Freund, von dem sie – ungewollt – ein Kind erwartet. Kaum sitzen die beiden jedoch
im Wagen, beginnen sie eine hitzige Debatte über Selbstmord, die damit endet, dass Jule den jungen Mann genervt rauswirft. Aber dann begegnen sich die Mittzwanziger zufällig wieder, stellen fest, dass sie sich eigentlich gut verstehen und setzen gemeinsam ihre Reise quer durch Europa fort. Während die Landschaften an ihnen vorbeiziehen, sie Landesgrenzen passieren, reden sie über Ökologie und Ökonomie, über das Leben und die Liebe und ganz langsam kommen sie sich immer näher.
"Dieses ist das erste Vorgefühl des Ewigen: Zeit haben zur Liebe." Regisseur Hans Weingartner hat dieses Rilke-Zitat seinem dialogstarken Film vorangestellt, erzählt er doch davon, wie sich zwei Menschen langsam ineinander verlieben. Vor allem aber ist
303 – der Filmtitel verweist auf das Wohnmobil, einen Mercedes Hymer 303 – ein klassisches Roadmovie, bei dem die Zuschauer durch die
nahe Kamera quasi zu Mitreisenden im Bus werden. Jule und Jan stehen für eine gut ausgebildete Generation, die politisch denkt und nach alternativen Lebensformen sucht. Als Gegensatzpaar decken sie verschiedene Denkweisen und Überzeugungen ab: Jule etwa setzt auf Empathie und Kooperation und kritisiert die "Vereinzelungsstrategie des Kapitalismus". Jan findet dagegen, dass Menschen der Wettkampf im Blut liegt und Küssen nichts weiter als "ein Gen-Check" ist. Ihre theoretischen Diskussionen sind dabei weniger Selbstzweck, sondern führen zu Fragen der Lebensgestaltung; den Konventionen des
Genres entsprechend führt die Reise die Protagonisten letztendlich zu sich selbst.
303, Trailer (© Alamode Film)
Jule und Jan befinden sich in
303 in einem ständigen Schlagabtausch, den sie sich mit Freude am wissenschaftlichen Diskurs und Toleranz liefern. Dies regt dazu an, sich mit ihren konträren Positionen im Unterricht auseinanderzusetzen. So lässt sich etwa ihre Diskussion über Darwins "Survival of the Fittest" mit der Klasse weiterführen. Ebenso kann auch die im Film enthaltene Kapitalismus- und Konsumkritik aufgegriffen werden. Als Schreibübung können die Schüler/-innen einen Dialog zu einem kontroversen Thema schreiben. Darüber hinaus bietet der Film gute Ansatzpunkte, um sich Gedanken über die eigene Zukunftsgestaltung zu machen. Wie wollen wir leben? Welche Werte liegen der eigenen Lebensplanung zugrunde? Nicht zuletzt lässt sich
303 aber auch als eine Ode an ein Europa lesen, in dem man sich überwiegend frei bewegen kann und das auf einem Wir-Gefühl basiert – ein Selbstverständnis, das sich in einer akuten Krise befindet. Hier kann nach der allgemeinen, aber auch persönlichen Bedeutung von Europa gefragt werden. Filmtheoretisch bietet sich zudem eine Auseinandersetzung mit dem Genre Roadmovie an.
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Kirsten Taylor, 29.06.2018, Vision Kino 2018.
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