Wie werden aus jungen Männern Massenmörder? Wie konnten während des Zweiten Weltkriegs in aller Öffentlichkeit Massenerschießungen stattfinden? Warum haben so wenige den Schießbefehl verweigert, obwohl das durchaus möglich war? Die Tatsache, dass deutsche Einsatzgruppen und Polizeibataillone in Osteuropa rund zwei Millionen jüdische Zivilisten/innen systematisch ermordeten, ist bis heute ein Tabuthema. Stefan Ruzowitzky, der mit seinem Film
Die Fälscher im Jahr 2007 mit dem Oscar® für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet wurde, nimmt dieses Verbrechen in den Blick und legt auf der Grundlage unzähliger Originaldokumente die Gedanken und Gefühle der Täter offen.
Stefan Ruzowitzky bricht mit dem Primat des Zeitzeugenberichts und kombiniert Originalquellen,
Experteninterviews und inszenierte Szenen zu einem packenden filmischen Essay. Basierend auf Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Gerichtsprotokollen erzählt
Das radikal Böse von blindem Gehorsam und Obrigkeitshörigkeit, aber auch von Zweifeln und Verweigerung. Während die Originalzitate von professionellen Schauspielern eingesprochen werden, sind im Bild die Gesichter unbekannter Komparsen/innen zu sehen. Diese
Szenen sind bewusst nicht als Re-Enactment gestaltet, also als möglichst authentische Nachstellung historischer Ereignisse, sondern (beispielsweise durch den Einsatz von Split-Screens) deutlich als Inszenierung gekennzeichnet. Die namenlosen Gesichter dienen als Projektionsfolien des Grauens. Im Kontrast dazu vermitteln die Experten/innen-Interviews Hintergrundwissen. Nachgestellte sozialpsychologische Experimente machen zudem deutlich, dass das "Böse" bis heute direkt unter der Oberfläche der Zivilisation lauert und keineswegs ein historisch abgrenzbares Phänomen darstellt.
Das radikal Böse, Trailer (© W-film)
Der Film konzentriert sich auf Lebensumstände und Psyche der Täter, die Zuschauenden erleben die Zeit des Zweiten Weltkriegs gewissermaßen "durch die Brille" der deutschen Soldaten. Im Geschichtsunterricht kann diese Perspektive eine sinnvolle Ergänzung zu Zeitzeugenberichten der Opfer darstellen. Gespiegelt wird die Täterperspektive durch die Experteninterviews. Ruzowitzky bietet Erklärungen für die historischen Tatsachen an, ohne die Taten zu entschuldigen. Die psychoanalytische Sichtweise auf Holocaust und Nationalsozialismus kann im Sozialkundeunterricht und in und Psychologie aufgegriffen werden: Die Monstrosität des Holocaust wird spürbar, ohne dass die Täter zu Monstern stilisiert werden, was eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Thematik erleichtert. Sowohl im Ethik- und Religionsunterricht als auch in Philosophie lässt sich im Anschluss an den Film die Frage diskutieren, inwieweit ähnliche Verbrechen auch heute noch möglich sind und wie sie zu verhindern wären.
Autor/in: Luc-Carolin Ziemann, 15.01.2014
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