Ost-Berlin im Jahr 1968: Der 12-jährige Holger leidet darunter, dass seine Eltern, ein biederer Volkspolizist und dessen vom
Goldenen Westen schwärmende Frau, sich ständig streiten. Zuflucht sucht Holger deshalb immer öfter bei seiner lebensfrohen Oma Otti, die schon fünf Ehemänner zu Grabe getragen hat. Während ihr sechster Mann im Sterben liegt, macht ihr der schmierige Fischhändler und Alt-Nationalsozialist Winkler den Hof. Otti verliebt sich aber in den eloquenten Ex-Spartakuskämpfer Karl Wegner. Als Winkler erschlagen wird, avanciert Holger zum Hobby-Detektiv.
Regisseur Matti Geschonneck, der selbst im früheren Berliner Arbeiterviertel um den Boxhagener Platz aufgewachsen ist, hat den gleichnamigen Roman von Torsten Schulz adaptiert, der auch das Drehbuch verfasst hat. Weil der Originalschauplatz längst saniert ist, musste das Team in Babelsberg, Dessau und Halle drehen. Dennoch wirkt die Milieuschilderung lebensecht, ohne ins Folkloristische abzudriften.
Boxhagener Platz soll weder eine Ostalgie-Komödie à la
Sonnenallee (Leander Haussmann, Deutschland 1999) noch ein Politdrama über das DDR-Regime sein. Geschonneck versteht den überwiegend aus Holgers Sicht erzählten Film als eine "Liebeserklärung an die Stadt". Pointierte Dialoge, eine sorgfältige Ausstattung und lakonischer Humor ergeben eine verschroben-melancholische Familienkomödie, die mit ausgezeichneten Darstellerleistungen besticht.
Boxhagener Platz eignet sich als Anschauungsmaterial für den Geschichtsunterricht. Der Film zeichnet ein um Authentizität bemühtes Bild des Alltags in einem DDR-Arbeiterviertel nach, wo vom Stasi-Spitzelsystem nicht viel zu spüren ist. Doch auch weltpolitische Ereignisse wie der Prager Frühling oder die Studentenunruhen in der Bundesrepublik dringen in diesen vermeintlich idyllischen Mikrokosmos ein. Ebenso beiläufig – und trotz des heiteren Grundtons – thematisiert der Film zudem wichtige gesellschaftspolitische Fragen: Wie ging das SED-Regime mit politisch Andersdenkenden, mit Nonkonformisten im Gefolge von 1968 und Minderheiten wie etwa Homosexuellen um? Im Unterricht kann der Film zudem ein aktueller Ausgangspunkt für eine vergleichende Analyse der jüngeren filmischen Darstellung der DDR sein wie etwa in den Komödien
Sonnenallee und
Good Bye, Lenin! (Wolfgang Becker, Deutschland 2003) oder in dem Drama
Das Leben der Anderen (Florian Henckel von Donnersmarck, Deutschland 2005).
Autor/in: Reinhard Kleber, 02.03.2010
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