Hintergrund
DDR im Film
Als ein gewisser Oscar® ins Spiel kam, da wurde die Aufarbeitung der DDR wieder Chefsache. Es war Anfang März 2007 als Florian Henckel von Donnersmarck zurück in der Heimat begrüßt wurde. Der Regisseur hatte gerade in Hollywood den Academy Award für den besten fremdsprachigen Film des Jahres 2006 überreicht bekommen. Presse, Publikum, Politik, ja sogar die Bundeskanzlerin zeigte sich begeistert.
Das Leben der Anderen (D 2006), ließ Angela Merkel verlauten, sei "ein eindrucksvoller Film mit einer authentischen Erzählung".
Umstrittene historische Authentizität

Das Leben der Anderen
Gerade die Authentizität des Films aber war immer umstritten. Nicht nur die märchenhafte Wandlung eines Hauptmanns des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zum Menschenfreund, die in
Das Leben der Anderen erzählt wird, wurde von Bürgerrechtlern/innen und Wissenschaftlern/innen als unglaubwürdig abgetan. Es fanden sich auch allerhand historische Ungenauigkeiten: Eine Totalüberwachung, wie sie der Film zeigt, wäre schon aus technischen Gründen nicht möglich gewesen; auch eine solche unbürokratische Bearbeitung eines Operativen Vorgangs wäre an den internen Kontrollmechanismen der damalige Staatssicherheit gescheitert.
"Keine Geschichtsstunde"
Regisseur von Donnersmarck legte zwar Wert darauf, das Setting seines Films mit Hilfe von (wissenschaftlichen) Beratern/innen historisch abgesichert zu haben, berief sich aber auch darauf, "keine Geschichtsstunde abhalten" zu wollen. Und das ganz zu Recht:
Das Leben der Anderen kann nicht die ganze Wahrheit über die DDR erzählen. Denn über diesen vergangenen Staat gibt es viele Wahrheiten. Problematisch wird es jedoch, wenn Filmkunst zur dominierenden geschichtlichen Überlieferung wird: Im heutigen Deutschland, aber auch und gerade im Ausland, prägt kein Kinofilm – und womöglich kein anderes Medienerzeugnis - das Bild der ehemaligen DDR so nachhaltig wie der Oscar®-Gewinner.
Romantisierender Rückblick

Good Bye, Lenin!
Der Grund dafür ist einfach: Der kommerzielle Erfolg von
Das Leben der Anderen gründete sich vor allem darauf, dass der Film westliche Vorstellungen bestätigte von der Staatssicherheit als geheimnisumwittertem Überwachungsapparat, als morbides Böses, und diese Klischees geradezu mythisch überhöhte. Das hat er gemeinsam mit den anderen an der Kinokasse erfolgreichen Filmen, die sich der DDR annahmen: Von der bittersüßen Tragikomödie
Good Bye, Lenin! (Wolfgang Becker, D 2003) über die überzeugt brachiale Militärklamotte
NVA (Leander Haußmann, D 2005) bis zur vielschichtigeren
Sonnenallee (Leander Haußmann, D 1999). Alle erzählen sie ganz bewusst Märchen aus einem versunkenen, mittlerweile von Legenden umflorten Land – und erzählen wohl mehr über den Umgang mit der DDR im wiedervereinigten Deutschland als über die DDR selbst.
Wirklichkeitsgetreuere Bilder
Andere Filme aber, die ein womöglich authentischeres Bild der DDR zeichneten, fanden dagegen nur ein vergleichsweise kleines Publikum. Dazu gehört eine ganze Generation an Filmen, die einen recht realistischen Eindruck vermitteln – einfach weil sie zwar noch in der DDR geplant wurden, aber man bei ihrer Umsetzung bereits die durch die friedliche Revolution gewonnenen neuen künstlerischen Freiheiten nutzen konnte. Diese historisch einmalige Situation wurde allerdings auch zu ihrem Problem: Denn in der politischen Umbruchphase fanden viele dieser Filme kaum noch ein Publikum. Weder im Osten noch im Westen der Republik bestand in den Jahren unmittelbar nach der Wiedervereinigung großes Interesse an filmischen Auseinandersetzungen mit einem Staat, der gerade zur Vergangenheit geworden war.
Brisante Themen und nachträgliche Abrechnung
Dabei traf Heiner Carows
Coming Out (DDR 1989), in dem erstmals Themen wie Homosexualität, Ausländer- und Schwulenfeindlichkeit im real existierenden Sozialismus behandelt wurden, noch am ehesten auf Resonanz. In dem Film lernt ein junger Lehrer, sich allen gesellschaftlichen Widerständen zum Trotz zu seiner Homosexualität zu bekennen. Mit seinem berührenden

Coming out (Progress-Filmverleih, © Wolfgang Fritsche)
Plädoyer für individuelle Selbstverwirklichung und das Recht auf "Anderssein" traf der Film den Nerv der Zeit: Als die Uraufführung am 9. November 1989 unterbrochen wurde, um die Öffnung der Mauer bekannt zu geben, bestand das Publikum auf der Fortsetzung der Vorführung. Ein Film wie Frank Beyers
Der Verdacht (D 1991), der sich anhand einer Liebesgeschichte in den 1970er-Jahren des heiklen Themas Staatssicherheit annimmt – eine Funktionärstochter verliebt sich in ein Stasi-Opfer –, fand zwei Jahre später bereits kaum Beachtung. Ähnlich erging es einer ganzen Reihe weiterer Filme, in denen ehemalige DEFA-Regisseure/innen mit dem Arbeiter- und Bauernstaat abrechneten – in allegorischen oder realistischen Stilformen.
Das Land hinter dem Regenbogen (D 1991, Herwig Kipping) erzählte beispielsweise die Geschichte der DDR als Traum, die mit einer Kreuzigung am Grenzpfahl endet. In
Stein (D 1991, Egon Günther) zieht sich ein erfolgreicher Schauspieler aus Protest gegen den Einmarsch in die Tschechoslowakei in die innere Emigration zurück. Und in
Letztes aus der DaDaeR (DDR 1990, Jörg Foth) reisen die beiden Clowns Wenzel und Mensching singend durch eine untergehende DDR.
Die Architekten – Abgesang auf eine Utopie
Dennoch ermöglichen jene Filme, die in der Zeit nach der friedlichen Revolution entstanden, immer noch eine vergleichsweise wirklichkeitsgetreue Annäherung an die DDR. In Die Architekten (DDR 1990), einem der letzten DEFA-Filme wird deutlich, dass der Staat DDR auch daran scheiterte, dass er seine Bürger/innen in Apathie und Indifferenz trieb. Regisseur Peter Kahane zeichnet ein Land im Stillstand, sein Film ist ein Abgesang auf eine politische Utopie. Während Tausende von Mitbürgerinnen und Mitbürgern bereits die DDR Richtung Westen verlassen, glaubt der junge Architekt Daniel noch immer an die sozialistischen Gründungsideen. Bislang allerdings hat er nur Bushaltestellen und Telefonhäuschen bauen dürfen, nun aber soll er ein riesiges Areal mit Geschäften und Kultureinrichtungen planen, soll eine Stadt zum Leben erwecken. Daniels Scheitern wird minutiös und bis ins Detail stimmig nachgezeichnet, der Tonfall ist authentisch: Als ihm erlaubt wird, sich seine Mitarbeiter/innen selbst zu suchen, hat er freie Hand "bei der Bildung seines Kollektivs". Und sein Chef hofft: "Es werden ja nicht gerade Ausreisekandidaten sein". Von nun kämpfen sieben Aufrechte einen aussichtslosen Kampf, junge, hoffnungsvolle Architekten/innen, die schließlich verzweifeln an einem alles nivellierenden Staats- und Parteiapparat.
Ohne verklärenden Weichzeichner
Das Drehbuch entstand bereits 1987, doch erst im September 1989 konnte Kahane mit den Dreharbeiten beginnen. Sicherlich lag es am sich abzeichnenden gesellschaftlichen Umbruch, dass die DEFA bereit war, einen solchen Film zu realisieren. Neu ist die Offenheit, mit der die Architekten/innen über die DDR sprechen: "Wir müssen ohne Schranken über alles nachdenken." – "Wenn wir das überhaupt noch schaffen." – "Uns muss man gar nichts mehr verbieten, wir verbieten uns das schon selbst." Doch sie sprechen über einen Staat, der bereits "abgewickelt" wird, als der Film endlich im Mai 1990 uraufgeführt wird. Die Architekten zeichnet ein annähernd realistisches Bild, weil ihm die Patina fehlt, der verklärende Weichzeichner der sentimentalen Rückschau. Das aber ist, heute gesehen, sein Vorteil gegenüber all jenen Filmen, die erst später entstanden sind und auf die DDR zurückblicken.
Der Film
Die Architekten ist Teil der DVD-Edition
Parallelwelt: Film - Ein Einblick in die DEFA.
Coming out ist im Progress Film-Verleih, die DVD ist bei Icestorm erschienen.
Autor/in: Thomas Winkler, Journalist mit den Schwerpunktthemen Film und Sport, 13.10.2009
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