Hintergrund
Zwischen Abschied und Aufbruch
Die Zeit nach der Wiedervereinigung im deutschen Film
Das Geschäft floriert, doch blühende Landschaften sehen anders aus. Der Himmel über Bernd Willenbrocks Gebrauchtwagenhandel ist verhangen, ein einsamer Container steht inmitten eines kargen, mit Autos zugeparkten Areals, die neue Ausstellungshalle harrt noch ihres Richtfests. Grau ist die Grundfarbe dieses in Magdeburg angesiedelten wirtschaftlichen Aufschwungs: Die Verlierer der Einheit machen notgedrungen ihren Besitz zu Geld und bekommen den Wertverlust ihrer mit dem Mauerfall verbundenen Träume auf den Cent genau berechnet; wer seinen Wagen unter Wert verkaufen muss, ist um eine schmerzliche Erfahrung reicher, der westlich wirtschaftende Händler streicht die Gewinne ein.
Befindlichkeitsstudien der neuen Bundesländer
Andreas Dresen vereint in seiner schelmischen Literaturverfilmung
Willenbrock (D 2005) nach dem gleichnamigen Roman von Christoph Hein beiläufig zentrale Themen des deutschen Nachwendefilms: Es dominieren kritische Geschichten über die sozialen Veränderungen in den neuen Bundesländern. Einzelne Porträts verdichten sich zum Gruppenbild einer an den Rand gedrängten Generation und einer Gesellschaft, die sich den wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der Wiedervereinigung stellen muss. So wenden sich auch anfängliche Erfolgsgeschichten manchmal wie selbstverständlich zum Schlechteren: Am Anfang scheint der patente Gebrauchtwagenhändler noch zu den Erfolgreichen zu gehören, doch nachdem er einen brutalen Raubüberfall in seinem Landhaus überlebt hat, gerät seine wohl geordnete Welt ins Wanken. Am Ende findet er sich allein mit einer Pistole auf einer verschneiten Brücke wieder.
Der "Aufbau Ost"
In Peter Dörflers Dokumentarfilm
Achterbahn (D 2009) wird das deutsch-deutsche Scheitern sogar zum veritablen Wirtschaftskrimi: Wie viele westliche Unternehmer/innen ist auch der erfolgreiche Hamburger Schausteller Norbert Witte kurz nach der friedlichen Revolution von 1989 in Goldgräberstimmung; dank staatlicher Hilfe lässt sich bei der Sanierung maroder Ostbetriebe auf satte Gewinne hoffen.

Achterbahn
Er übernimmt 1990 den DDR-Vergnügungspark im Berliner Plänterwald, den er zum größten Rummelplatz in Deutschland aufbauen will. Im Jahr 2001 geht Witte Konkurs, setzt sich nach Peru ab und stürzt seine Familie endgültig ins Unglück, als er versucht, mit Drogengeschäften wieder auf die Beine zu kommen. Künstlerisch am radikalsten wirkt der Abgesang auf das ostdeutsche Wirtschaftswunderland jedoch in Christian Petzolds
Yella (D 2007). Die Titelheldin verlässt ihre Heimatstadt Wittenberge, um schließlich als Assistentin eines Finanzinvestors angeschlagene Firmen im Osten der Republik mit frischem Geld zu versorgen und sich dabei nicht zuletzt die eigenen Taschen zu füllen. Sie wechselt auf die Seite der Gewinner, auch wenn das bedeutet, das Leben anderer Menschen zu ruinieren. Am Ende entpuppt sich die Handlung als Geistergeschichte: Die Protagonistin hat den am Anfang gezeigten Mordversuch ihres Ehemanns nicht überlebt, und Petzold deutet an, dass dies für sie der bessere Ausgang ist.
Drama oder Komödie?
Meist wenden sich in der DDR geborene Filmemacher/innen den sozial Deklassierten zu. Andreas Dresen schlägt in seinem Ensemblefilm
Nachtgestalten (D 2000) sowohl tragische wie auch komische Töne an und legt einen Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft, in der sich gerade ehemalige DDR-Bürger/innen entwurzelt fühlen; dabei weisen kleine zwischenmenschliche Gesten einen Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit. Die buchstäblich düsterste Variante dieses Motivs findet sich in Andreas Kleinerts Schwarzweiß-Film
Wege in die Nacht (D 1999). Kleinert erzählt die Geschichte eines ehemaligen Kombinatsdirektors, dessen Betrieb abgewickelt wurde und der die damit einhergehende Degradierung nicht verwinden kann.

Salami Aleikum
Er zieht sich von seiner Ehefrau zurück, versucht in einer Gruppe selbsternannter Ordnungshüter das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit zu kompensieren und stürzt immer tiefer in eine dramatische Identitätskrise. Heitere Akzente hingegen setzen einige, von westdeutschen Regisseuren inszenierte, skurrile Komödien über wechselseitige Klischees zwischen "Ossis" und "Wessis". Detlev Buck gab mit seinem ironisch gebrochenen Roadmovie
Wir können auch anders (D 1993) über die seltsame Reise der norddeutschen Brüder Kipp und Most durch den Osten der Republik die Richtung vor. Zuletzt inszenierte Ali Samadi Ahadi mit
Salami Aleikum (D 2009) eine multikulturelle Verwechslungskomödie, in der sich auch lang gehegte Vorurteile zwischen Ost und West in Gelächter aufzulösen beginnen.
Dokumentarische Bestandsaufnahmen
Nüchtern nimmt sich der Dokumentarfilm der veränderten Situation in der ehemaligen DDR an. Während die Schwarzweiß-Aufnahmen bei Kleinert die Gemütsverfassung des Helden abbilden, erscheint dasselbe Stilmittel in Thomas Heises Dokumentarfilm
Kinder. Wie die Zeit vergeht (D 2007) als Merkmal des Realismus. Heise besucht eine in Halle ansässige Familie, deren Mutter er schon zehn Jahre zuvor in
Neustadt (D 2000) porträtiert hatte, und zeigt, was aus den damaligen Träumen und Erwartungen geworden ist. Ergänzt durch unkommentierte Stadtbilder und Straßenszenen fügen sich die Eindrücke zum sprechenden Panorama des Alltagslebens. Auch Andreas Dresen findet in
Herr Wichmann von der CDU (D 2003) einen ungewöhnlichen Zugang zur ostdeutschen Wirklichkeit, indem er einen chancenlosen Bundestagskandidaten

Uckermark
bei seinem Wahlkampf in der Uckermark begleitet und dessen Werben in öden Einkaufsstraßen zum Beckettschen Schauspiel der Vergeblichkeit stilisiert. Ebenfalls mit einem heiteren Unterton beschäftigt sich Volker Koepp in seinem Film
Uckermark (D 2001) mit dem dünn besiedelten märkischen Landstrich. Koepp trifft eine kleine Schar von Übriggebliebenen und "Heimgekehrten" der Nachwendezeit. In bedächtigen Dialogen und ruhigen Landschaftsaufnahmen skizziert er das nuancierte Porträt einer Umbruchgesellschaft, in der oft genug ein trotziger Idealismus den Widrigkeiten des Alltags den Willen zur Verbesserung und die Kraft zum Neuanfang entgegen setzt.
Lebensmodelle und jugendliche Orientierungssuche
Einen Coming-of-Age-Film vor gesellschaftlichem Hintergrund hat Mirko Borscht mit
Kombat Sechzehn (D 2004) gedreht. Er verfolgt den Weg des Schülers Georg, dessen Vater beruflich nach Frankfurt/Oder zieht. In dem gleichaltrigen Thomas

Meer is nich
findet er schließlich einen Freund und gerät dabei auf erschreckend selbstverständliche Weise ins neo-faschistische Milieu. Doch kurz vor der sich anbahnenden Katastrophe ziehen sich die beiden Protagonisten aus der rechten Szene zurück. Jugendliche Orientierungssuche und die selbstbewusste Behauptung des eigenen Lebenswegs stehen im Mittelpunkt von Hagen Kellers einfühlsamen Spielfilmdebüt
Meer is nich (D 2007). Die 17-jährige Abiturientin Lena lebt mit ihren Eltern im thüringischen Weimar. Ihr Vater war zur Zeit der DDR Brückenbauingenieur, seitdem er arbeitslos ist, ernährt Lenas Mutter die Familie. Ihre Eltern erwarten, dass sie in der leistungsorientierten Gesellschaft einen Erfolg versprechenden Berufsweg einschlägt, doch Lena träumt davon, Schlagzeugerin zu werden.
Nach der Euphorie ...
Gleich zweimal beschäftigt sich Hans-Christian Schmid mit dem deutsch-polnischen Grenzgebiet. Sein Episodenfilm
Lichter (D 2002) zeigt mit mehreren Geschichten die Vielschichtigkeit der Grenzbeziehungen, in
Die wundersame Welt der Waschkraft (D 2009) konzentriert sich Schmid auf die wirtschaftlichen Folgen der europäischen Osterweiterung. Er verfolgt den Weg, den die in Berliner Nobelhotels anfallende Schmutzwäsche über die polnische Grenze nimmt, und porträtiert einige der Menschen hinter diesem Export von Arbeitsplätzen. Die Euphorie der Deutschen Einheit ist nicht nur bei ihm längst verflogen, weshalb Jürgen Böttchers impressionistischer Dokumentarfilm
Die Mauer (DDR 1990) heute geradezu exotisch wirkt. Ohne Kommentar sammelt Böttcher Eindrücke rund um den Mauerfall, lässt die historischen Momente dabei gezielt außen vor und setzt aus Randbeobachtungen ein ebenso nüchternes wie eindrucksvolles Stimmungsbild zwischen Abschied und Aufbruch zusammen.
Autor/in: Michael Kohler, Publizist und Filmkritiker, 13.10.2009
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