Volker Koepp, geboren am 22. Juni 1944 in Stettin, war von 1970 bis 1990 beim DEFA-Studio für Dokumentarfilm angestellt, wo er mit
Märkische Ziegel (1988/89) und
Märkische Heide, Märkischer Sand (1990) die ersten beiden Teile seiner "Märkischen Trilogie" über Zehdenicker Ziegeleiarbeiter realisierte (letzter Teil:
Märkische Gesellschaft mbH, 1991). Landschaften, Menschen und geschichtliche Umbrüche in Ostdeutschland und Osteuropa stehen im Zentrum von Koepps Arbeiten. Volker Koepp hat bisher fast 70 Dokumentarfilme gedreht, die ihn auch über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht haben. Sein neuer Film
Berlin-Stettin eröffnet im Oktober 2009 das 52. Internationale Festival für Dokumentar- und Animationsfilm in Leipzig.
Im Jahr 1989 waren Sie im DEFA-Dokumentarfilmstudio angestellt. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Na ja, man merkte schon 1987, 1988, dass sich was verändert. Man hat kein Blatt mehr vor den Mund genommen, auch filmisch wurde vieles freier. Dass ein so kritischer Film wie
Winter Adé von Helke Misselwitz 1988 auf dem Leipziger Dokumentarfilmfestival gezeigt werden durfte, hat mich aber nicht davor geschützt, dass im gleichen Jahr
Märkische Ziegel verboten wurde. Es ging so hin und her. Als die Mauer fiel, hatten wir Regisseure dann für kurze Zeit die Macht. Denn Leute, die vorher Erich Honecker begleitet hatten, standen plötzlich ohne Arbeit da, und wir hatten dadurch die Kameras. Das war eine wilde Zeit. Im Frühsommer 1989 wurde auch
Märkische Ziegel zugelassen, nachdem ich eine Szene rausgeschnitten hatte. Ich habe gleich im Herbst angefangen, den zweiten Teil
Märkische Heide, Märkischer Sand in Zehdenick zu drehen. Die Novemberdemonstrationen, die Diskussionen bis hin zur letzten Volkskammerwahl im März 1990, habe ich dort auf dem Land gedreht. Ich war also direkt am Thema dran. Für mich ging es relativ organisch weiter.
Welche Szenen mussten Sie aus Märkische Ziegel herausschneiden und warum?
Na ja, der Film ist so eine archaische Arbeit. Unter unheimlich unwürdigen Bedingungen haben diese Ziegler gearbeitet, die Duschräume waren eine Katastrophe. Das habe ich halt gezeigt. Und dann haben die Ziegeleiarbeiter darüber gesprochen, dass man Gorbatschows Buch "Perestroika" bei Verwandtenbesuchen im Westen kaufen müsse, weil es das bei uns nicht gab. Gorbatschow war damals ein rotes Tuch. Das musste ich alles herausschneiden. Es war so ähnlich wie jetzt bei den Koalitionsverhandlungen: Alles andere konnte drin bleiben, wenn ich das rausnehme. Für den Film war das eigentlich gar nicht schlecht. Er ist dadurch gewissermaßen noch ein reiner DDR-Film.
Was bedeutet das – "ein reiner DDR-Film"?
Alles ist spürbar und sichtbar, wird aber nicht verbalisiert. Das ist wie der berühmte "Bananeneffekt" am Theater. Wenn in einer Inszenierung das Wort "Banane" vorkam, lachten alle, weil sie wussten, dass es keine gibt. In den DEFA-Filmen gab es ein System von Zeichen, mit denen man sich verständigt hat. Man hat nicht alles ausgesprochen, aber es war schon klar, was gemeint war, jedenfalls für die Leute im Osten. Das war ja auch der Grund, warum nur zwei oder drei Filme von mir im DDR-Fernsehen laufen durften. Die DEFA gehörte zum Kulturbereich und das Fernsehen zur Abteilung Agitation und Propaganda des Zentralkomitees. Während der Wende haben die Leute dann plötzlich offen vor der Kamera über alles geredet. Es war ziemlich schräg und aufregend, das merkt man auch der Struktur der Filme an, sie sind ziemlich entfesselt.
Viele dieser Filme, die noch in der DDR konzipiert wurden, aber kurz nach der friedlichen Revolution ins Kino kamen, beispielsweise Peter Kahanes Die Architekten, nahm das damalige Publikum jedoch kaum wahr.
Das war eben so 'ne Zeit, da ist auf der Straße soviel passiert, dass niemand ins Theater oder ins Kino ging. Aber sie werden ja jetzt zum Teil auch wieder aufgeführt. Es ist keine verlorene Arbeit. Damals war es für uns nur wichtig, dass wir drehen konnten. Ob es sich jemand anguckt, war uns ziemlich egal.
Haben sich Ihre Sujets durch die Wende verändert?
Im Laufe der Jahrzehnte verändern sich natürlich Ansichten. Aber der Ansatz, Filme so zu machen, wie ich es mache, den hatte ich schon immer. Also nicht nur Menschen zu porträtieren, sondern auch die Landschaft, die sie umgibt – sowohl als geografischer Ort, aber auch als Geschichtslandschaft.
Aus der geduldigen Beobachtung entwickeln sich oft sehr schöne Situationen in Ihren Filmen. Wie gelingt Ihnen das?
Man muss Glück haben. Schöne Situationen kommen nicht dadurch zustande, dass man die Kamera ununterbrochen laufen lässt. Die Leute merken relativ schnell, ob man wirklich an ihrem Leben interessiert ist. Ich mache ja fast immer nur Filme über Leute, die ich mag, und das macht es einfacher. Wichtig ist, dass man auf Entdeckung aus ist. Selbst wenn man, wie in
Uckermark, eine Landschaft und manche Personen schon gut kennt.
In Filmen wie Uckermark geht es um den sozialen Wandel seit der Wiedervereinigung. Wo wird für Sie dieser Wandel in den neuen Bundesländern am stärksten sichtbar?
Uckermark ist natürlich schon sieben Jahre her. Aber ich habe jetzt auch für meinen neuen Film
Berlin-Stettin in der Gegend gedreht. Die Dörfer sehen teilweise ganz proper aus und es gibt keine produktive Arbeit mehr, das fällt auf. Früher spielte sich der Hauptteil des Lebens bei manuellen Verrichtungen ab, das ließ sich auch gut drehen. Es ist eine besondere Situation dort. Man stöhnt immer, dass die Bevölkerung so abnimmt, aber darin liegt ja auch eine Chance. Es ist ein schönes Rückzugsgebiet, es muss ja nicht alles gleichmäßig dicht besiedelt sein.
Das 20-jährige Jubiläum der Maueröffnung wird ja mit ganzen Filmreihen über die DDR gefeiert. Was empfinden Sie, wenn Spielfilme ein Geschichtsbild vermitteln, das so gar nicht mit Ihrem persönlichen Erleben übereinstimmt?
Ich bin da nicht beleidigt. Ich wundere mich aber, dass das die Leute immer noch so interessiert. Wahrscheinlich, weil die DDR und die Wende so einmalig waren. Es war das erste Mal, dass man Bilder sah, die eine historische Veränderung zeigen, die nicht mit Blutvergießen verbunden ist. Insofern ist dieser Übergang etwas Besonderes. Und wenn man dann so ein abgeschlossenes Sammelgebiet wie die DDR hat, dann ist es wohl besonders interessant, darin herumzukramen.